Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
laufenden Kamera vergnügt hinterher. »Immer sachte, Bürschchen. Wir finden das geheimnisvolle Mädchen auch ohne deine Hilfe…«
»Flavio! Und Salvador, wieso, um alles in der Welt, bist du hier?«, rief Baz in diesem Moment. »Ich dachte, Jaden und sein Cousin aus Kentucky hätten dieses Mädchen ausfindig gemacht.«
»Und du? Was machst du hier?«, schnauzte Salvador zurück, ohne eine nähere Erklärung darüber abzugeben, wer das Mädchen ursprünglich entdeckt hatte.
Mehr bekam Ernesto nicht mit, es war ihm auch egal, er rannte Richtung Steinhaufenlichtung und versuchte dabei, allem und jedem auszuweichen, was Liberty Bell in Gefahr bringen konnte. Aber er kam zu spät. Zwei Polizeiofficer waren bereits bei Liberty Bell, die am Boden lag.
Was war geschehen? Ernestos Lungen brannten vom Rennen, er war völlig atemlos.
»Was… was ist passiert?«, keuchte er, hastete über die Wiese und kniete sich neben das still daliegende Mädchen. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht bleich, ihr Mund leicht geöffnet.
»Wir – wissen es nicht genau«, erklärte einer der beiden Polizisten. Ernesto kannte ihn vom Sehen aus dem Ed’s, er war noch ziemlich jung. »Sie ist wohl abgestürzt.«
Er deutete auf die höchste Stelle des alten Steins.
»Oder aber sie hat sich, sagen wir mal, fallen gelassen. Das wäre auch möglich«, brummte der andere Polizist mit betroffener Miene. Er war schon recht alt und plötzlich schob er mit seiner großen, schwieligen Hand Liberty Bell behutsam die Haare aus der blassen Stirn. Verdammt, das war Ernestos Sache, es war in seinem Traum passiert, seine Hand hätte diese Geste tun wollen. Aber – war nicht sowieso alles zu spät jetzt?
»Ist sie – ich meine, stirbt sie?«, flüsterte er heiser.
»Die Sanitäter müssen jeden Moment hier sein«, erklärte der junge Officer und deutete auf das Funkgerät in seiner Hand.
Und dann kamen sie. Ernesto beobachtete es mit starrer Miene, ohne sich zu rühren. Fast ohne es zu merken, hatte er Liberty Bells dünne Finger ergriffen. Sie fühlten sich eiskalt an. Kalt und klamm.
Sanitäter, der Notarzt, weitere Policeofficer, Darayavahush, Ronan, Mose, Cal, der alte Flavio, Salvadors Vater Baz, das Kamerateam mit dem Reporter an der Spitze und noch andere, die Ernesto nicht kannte.
Stumm sahen alle dabei zu, wie die Sanitäter das dünne reglose Mädchen auf eine Rettungstrage betteten, ihr eine Sauerstoffmaske über das blasse Gesicht schoben und der Arzt ihr eine Infusion in den sommersprossigen, von Narben und Schürfwunden übersäten Arm legte.
»Was… was passiert jetzt mit ihr?«, fragte Ernesto, als die Stille vorbei war, als die Rettungskräfte ihr sanftes Werk, das alle irgendwie in einen Bann gezogen hatte, beendet hatten, als das Team von Channel 77 wieder anfing auszuschwärmen, Interviewpartner zu suchen. Ernesto sah aus den Augenwinkeln, wie Cal einige von ihnen zu Liberty Bells Hütte zurücklotste. Der Notarzt hatte erklärt, dass für das verletzte Mädchen keine akute Lebensgefahr bestünde.
»Wer von den Jungen ist der, der letzte Nacht bei ihr im Wald geblieben ist?«, fragte ein anderer des Filmteams ein paarmal. Keiner gab Antwort, aber über Cal Wyludda bekamen sie es schließlich doch heraus.
»Du warst das also«, sagte ein Channel-77-Mitarbeiter neugierig und richtete seine Kamera auf Ernesto. »Nun sag doch mal, Junge: Was weißt du über das rätselhafte Mädchen? Kann sie sprechen? Ist sie bei Verstand? Hat sie einen Namen? Hast du herausgefunden, warum sie hier in aller Abgeschiedenheit gelebt hat?«
»Ich weiß nichts, überhaupt nichts«, antwortete Ernesto schroff, wandte sich ab und dachte gleichzeitig an alles, was er wusste, angefangen von Liberty Bells Namen, über ihren Gesang in der Nacht, bis hin zu ihrer Mutter, die begraben neben Liberty Bells Hütte ihre letzte Ruhestätte hatte und deren Namen Annie Lyford lautete… – Wie, um Himmels willen, würde es jetzt weitergehen?
Die Sanitäter schlossen die Türen des Rettungswagens.
»Kann ich, bitte, mitfahren?«, fragte Ernesto.
Aber sie ließen ihn nicht.
»Verdammt, warum nicht?«, murmelte Ernesto ärgerlich.
»Du bist kein Verwandter, nicht berechtigt«, erklärte der Rettungsarzt kurz angebunden.
»Aber…«
»Kein Aber.« Der Motor des Rettungswagens sprang an.
»Zum Teufel, sie braucht doch jemanden, der bei ihr ist«, stieß Ernesto zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Es werden Leute da sein, die sich um sie
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