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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Gesichter starrten ihn an. »Die Zukunft. Was ist das?«
    Ihm fiel nichts ein, was er noch hätte hinzufügen können, also beugte er sich vor, packte das Aquarium, das zwischen seinen Füßen am Boden stand, hob es auf und setzte es sich auf den Schoß. Ed hatte die Aufgabe, zu sehen. Und zu sprechen. Er hatte keine Ahnung, ob Hellsehen Unterhaltung war oder eine Dienstleistung. Madame Shen hatte ihn darüber im Unklaren gelassen.
    »Warum bekomme ich da mein Gesicht nicht rein?«, feixte er.
    Sein Leben hatte ein Leck, Silberaale verließen ihn, Ed schwamm hinterher wie ein warmer Strom im kalten Meer. Er erlebte im Aquarium, was er jedes Mal darin erlebte, abgesehen vielleicht von einer zusätzlichen klebrigen Distanz zu allem. Und anstrengender war es. Eine gute Stunde später kam er auf dem Betonboden des Raumhafens zu sich. Vom Meer blies ein salziger Nachtwind herüber. Ihm war schlecht, er fror. Annie Glyph kniete neben ihm. Er hatte das Gefühl, dass sie da schon eine ganze Weile kniete. Dass sie darauf eingerichtet war, so lange auszuharren, bis er wieder auf den Füßen war. Er hustete und übergab sich. Sie wischte ihm den Mund ab.
    »Ist ja gut«, beruhigte sie ihn.
    »Jesus«, sagte Ed. »He, wie war ich?«
    »Es war ein kurzer Auftritt. Du hattest dir kaum das Aquarium übergestülpt, da bekamst du einen Krampf. So hat es jedenfalls ausgesehen.« Annie lächelte. »Man war nicht überzeugt«, fuhr sie fort, »bis du vom Stuhl aufgestanden bist.« Er sei aufgestanden, erzählte sie, und habe bestimmt eine Minute lang bei wechselndem Licht vor dem Publikum gestanden und dabei gezittert und sich langsam eingenässt. »Es war ein echter Twinkmoment, Ed. Ich war stolz auf dich.« Danach seien ein paar gedämpfte Laute aus der rauchig aussehenden Substanz im Aquarium gekommen. Er habe dann plötzlich einen schrillen Schrei ausgestoßen und versucht, sich das Ding vom Kopf zu stemmen. Dann sei er ohnmächtig geworden und der Länge nach in die vorderste Reihe des Publikums gefallen. »Man war nicht glücklich, und wir hatten ein paar Probleme. Du weißt schon, die Angestellten aus den Enklaven hatten für die Loge bezahlt und dann kotzt du ihnen auf die guten Klamotten. Madame Shen hat mit ihnen geredet, doch sie schienen enttäuscht. Wir mussten dich hintenherum da rausziehen.«
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Es sah nicht schlimm aus. Du hast deinen Smoking versaut, als du dich in deiner Pisse gewälzt hast.«
    »Aber hab ich denn nichts gesagt?«
    »Oh, du hast prophezeit. Das hast du gut gemacht.«
    »Was hab ich gesagt?«
    »Du hast von Krieg geredet. Du hast Dinge gesagt, die keiner hören wollte. Blau angelaufene Babies, die aus einem zerstörten Schiff ins All hinaustrieben. Gefrorene Babies im Raum, Ed.« Sie schauderte. »So was will doch keiner hören.«
    »Es gibt gar keinen Krieg«, stellte Ed heraus. »Noch nicht.«
    »Aber er kommt, Ed. Das hast du gesagt: ›Krieg!‹«
    Das war ihm einerlei. Denn nach der Geschichte mit den Aalen hatte er nicht seine Kindheit in dem grau gedeckten Haus gesehen, sondern sich mit sechzehn, als er mit einem breiten arroganten Grinsen im Gesicht sein erstes Raketenschiff abschritt – einen kleinen fassförmigen Dynaflow-Frachter namens Kino Chicken –, und zwar auf dem ausgedörrten Boden seines ersten Alien-Planeten. Er war süchtig. Süchtig auf jede Idee, die sich mit grenzenlosem Reisen und leerem Raum befasste. Er bekam den Hals nicht voll. Er stand oben auf der Laderampe und brüllte: »He, fremder Planet!« Bedaure nie etwas, hatte er sich damals da oben auf der Rampe geschworen. Kehre nie zurück. Suche sie nie wieder auf, die Mütter und Väter und Geschwister, die dich im Stich lassen. Von dieser Einstellung bis zum Tod von Dany LeFebre, der ihm so nahe gegangen war, gab es nicht den geringsten Widerspruch. Sein Weg von der Kino Chicken übers Hypertauchen zum Twinktank war vorgezeichnet.
    Das erzählte er Annie Glyph, während sie über den Beton zu Annies Kabuff gingen.
    »Damals hieß ich anders«, sagte er.
    Plötzlich war ihm, als müsse er sich wieder übergeben. Er kauerte sich hin und nahm den Kopf zwischen die Knie. Er räusperte sich. Annie berührte seine Schulter. Nach einem Weilchen fühlte er sich besser und sah zu ihr auf. »Ich habe die Leute im Stich gelassen«, sagte er. Sie zeigte ihm, so wie sie es immer tat, ihre gewaltige stille Geduld. Er warf sich dagegen, weil sie alles war, was er hatte.
    »Wenn ich die Zukunft

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