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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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und die Dummen an. Sie zogen die Neuen Menschen an wie das Licht die Motten. Man kam nach New Venusport, weil man sonst nirgends hin konnte.
    Die südliche Hemisphäre von New Venusport war im Grunde genommen ein gigantisches Wartungsunternehmen. K-Schiffe bevölkerten den Himmel oder stiegen mit Mach 50 in den Orbit. Tag und Nacht hockten sie in den Docks mit dunkelgrauen Flanken, die im Bogenlicht glänzten. Sie waren rastlos. Sie flackerten zwischen Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit, während ihre Navigationssysteme zehn räumliche Dimensionen durchkämmten. Sie stellten nie ihre Abwehr- und Zielerfassungssysteme ab, sodass die Luft in ihrer Nähe kochte vor Gammastrahlen und Mikrowellen und allem, was es dazwischen gab. Wer in ihrer Nähe arbeitete, tat es im Bleianzug. Selbst der äußere Anstrich war tödlich. Die Docks waren nur ein Teil der Wartungsindustrie; woanders fraß sich der Rohstofflieferant von EMC durch den Regolith der Hemisphäre, und zwar in Tagebauarealen von Nationalstaatengröße, mit Maschinen, die noch von der alten fremden Technologie unterhalten und gesteuert wurden. Man setzte sie in Betrieb, trat zurück und sah einander mit einer Mischung aus Entzücken und Argwohn an.
    »He, das Ding könnte einen ganzen Planeten schälen!« In den Städten waren Luft und Nahrung verpestet und man hatte keine Ahnung, was mit dem Regen alles herunterkam. Die Neuen Menschen, eingepfercht in den Gehegen, Freiwild für das übliche Sortiment an Kriminellen, für renommierte politische Fanatiker und die EMC-Polizei, gingen im Morgengrauen zur Arbeit, hustend und fröstelnd und abgestumpft, verstört den Kopf einziehend. Doch wo viel Schatten ist, da ist auch Licht. Die ›Neuen Richtlinien für die Sicherheit am Arbeitsplatz‹, vom Arbeitgeber erlassen und überwacht, hatten die Lebenserwartung des männlichen Arbeiters um zwei Punkte auf vierundzwanzig Jahre angehoben. Wer wollte bestreiten, dass das ein Fortschritt war.
    Unterdessen etablierten sich die über die nördliche Hemisphäre verstreuten Firmenenklaven nach dem Vorbild der Alten Erde.
    Sie bevorzugten kleine Städte – mit kleinen Marktplätzen –, die Saulsignon oder Brandett Hersham hießen; kleine, schmucke Eisenbahnen, die durch parzelliertes schokoladenfarbenes Ackerland fuhren. Die Männer von EMC nahmen sich groß gewachsene schöne Frauen und schenkten ihnen honigfarbene Pelzmäntel. Die Frauen nahmen sich Männer aus dem oberen Management, die sie mit feuriger, wilder, echter Hingabe liebten, und schenkten ihnen schöne Kinder mit honigfarbenem Haar. Es gab graue Steinkirchen mit Hexenhuttürmen, Schlösser und Jagdhütten. Auen säumten die Nebenflüsse des New Pearl River – sommertags Feuchtwiesen mit Wildblumen, wintertags lange ausladende Eisflächen, auf denen man Schlittschuh laufen konnte. Man kam nach New Venusport, wenn man ein Glückspilz war und hart arbeiten konnte. Die Firma schickte einen, damit man seinen Job tat, aber man ging hin wegen des blauen, vom Regen klar gespülten Himmels und der weißen Kumuluswölkchen. Wegen der Pferde, die so herrlich gepflegt waren. Wegen des Freiluftsports. Und in Saulsignon gab es so leckere Sachen – allein schon all die Käsesorten!
    New Venusport, glaubte man den Werbebroschüren, war ›ein Planet erster Wahl‹.
     
    Das Gehege beanspruchte einen ganzen Block, der auf zwei Seiten von den Docks begrenzt wurde, auf der dritten vom Müllplatz eines alten Industrieunfalls und auf der vierten von der Straint Street, der westlichen Begrenzung des Bekleidungsviertels.
    Das Gehege war inwendig immer erhellt, aber nur durch die Holo-Programme und die Lampen, die speziell für die Augen der Neuen Menschen gemacht waren: Alles in allem herrschte eine Art graublaues Zwielicht wie es die antiken Monitore verbreitet hatten. Das Gehege war überfüllt und heiß, ein Chaos aus offenen Sperrholzkabuffs. Die Abteile waren nicht durch Flure verbunden. Man wusste nie, wo man war. Um von einem Abteil zum nächsten zu gelangen, ging man durch ein drittes. Man konnte durch dreißig solcher Kabuffs gehen, bis man zu einer Außentür kam. Manchmal waren diese Abteile noch weiter unterteilt.
    »Hier fühlt man sich gleich zu Hause«, sagte Tig Vesicle.
    Ed Chianese, zitternd vor Tankentzug, sah sich um.
    »Hübsch«, sagte er. »Ganz hübsch hier.«
    In den Abteilen hielten sich jeweils acht, neun Leute auf, die kochten oder Wäsche wuschen. Manchmal taten sie auch mehr. Sie verströmten einen Geruch,

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