Licht
Dann Bilder der Oberfläche: Wolken, chaotisch strömender Regen, mehr Chemie als Wetter. Lauter exotische Gebäude, seit zweihunderttausend Jahren verlassen: etwas, das aussah wie ein Labyrinth. Sie hinterließen oft solche Labyrinthe. »Was wir hier sehen, ist alt«, folgerte der Mann. »Sehr alt vermutlich.« Unversehens sprang die Kamera zu einem Asteroiden direkt unter den Augen des Traktes, der aus dem Display funkelte wie Modeschmuck auf schwarzem Samt.
»Ich denke, das sparen wir uns für später auf«, sagte er.
Alle lachten mit Ausnahme des Klons; sie spreizte die Hände. »Warum hasst ihr mich so«, sagte sie und blickte ihn über die hellroten Fingernägel hinweg an, »dass ich es tun muss und sie nicht?«
Er ging zu ihr und zog sie sanft auf die Füße. Er küsste sie. »Wir möchten, dass du es tust, weil wir dich lieb haben«, sagte er. »Wir alle haben dich lieb.« Er nahm ihre Hand und begutachtete die Fingernägel. »Das ist sehr historisch«, sagte er. Das Display zwinkerte, dehnte sich aus, bis es vier oder fünf Fuß Seitenlänge hatte, und zeigte plötzlich das Gesicht des Klons mitten in sexueller Erregung. Ihr Mund stand offen, die Augen waren geweitet, ob vor Schmerz oder Lust, konnte Seria Maú nicht sagen. Man sah nicht, was mit ihr gemacht wurde. Alle saßen sie da und sahen zu, schenkten dem Hologramm ihre volle Aufmerksamkeit als handle es sich immer noch um Bilder aus der Radio Bay, von alten exotischen Artefakten, ganz großen Geheimnissen, den Dingen, die sie am meisten mochten. Nicht lange und sie fickten wieder.
Seria Maú, die sich schon eine Weile fragte, ob sie die wirklichen Beweggründe kannte, aus denen die Menschen an Bord waren, sah ihnen noch ein paar Minuten argwöhnisch zu. Dann unterbrach sie die Verbindung.
Die Träume hörten nicht auf, sie zu quälen.
Sie gaben ihr das Gefühl, eine Art bösartiges Origamiobjekt zu sein, ein Raumabschnitt zur Ziehharmonika gefaltet, um mehr zu enthalten als möglich oder ratsam schien, so angefüllt mit unsichtbarer Materie wie der Halo selbst. Träumten Menschen so, wenn sie von sich träumten? Sie hatte keine Ahnung.
Nach zehn Reisetagen träumte sie von einer Bootsfahrt auf einem Fluss. Der New Pearl River war, wie die Mutter ihnen erklärte, mehr als eine Meile breit. Von jeder Uferböschung hing gutartige aber exotisch zugeschnittene Vegetation ins Wasser, dessen gekräuselte Oberfläche hart und perlmuttartig wirkte und nach Mandeln und Vanille roch. Die Mutter liebte den Fluss so sehr wie die Kinder. Sie pflügte mit bloßen Füßen durch das kühle perlige Wasser und lachte. »Sind wir nicht glücklich?«, sagte sie immer wieder. »Sind wir nicht glücklich?« Die Kinder liebten ihre braunen Augen. Sie liebten ihre Begeisterung für alles und jedes in der Welt.
»Sind wir nicht glücklich!«
Die Worte hallten durch die Finsternis des Szenenwechsels in den lorbeerbeschatteten Garten herüber.
Es war Nachmittag. Es regnete. Der alte Mann – er war der Vater und man sah ihm an, wie sehr ihn die Verantwortung verunsicherte, ja regelrecht Anstrengung kostete –, der alte Mann hatte ein Feuer entzündet. Die beiden Kinder standen da und sahen zu, wie er Dinge hineinwarf. Schachteln, Papiere, Fotografien, Kleidung. Der Rauch blieb in langen, flachen Schwaden über dem Garten liegen, die Inversion des Spätherbsttages ließ ihn nicht abziehen. Die Kinder starrten in den heißen Kern des Feuers. Der Geruch, nicht anders als der von anderen Feuern, erregte sie mehr als ihnen lieb war. Sie standen, hübsch verpackt in Mänteln und Schals und Handschuhen, traurig und schuldbewusst im kalten, zur Neige gehenden Nachmittag, starrten in die Flammen und husteten im grauen Rauch.
Er sei zu alt für die Vaterrolle, schien er zu seiner Verteidigung vorzubringen. Einfach zu alt.
Gerade als der Traum unerträglich wurde, raffte ihn jemand beiseite. Seria Maú starrte in ein erleuchtetes Schaufenster. Die Auslage bestand aus lauter Retrosachen. Sie stammten von der Erde: Zauberutensilien, Kinderkram aus Billigkunststoff, Federn und Latex, ursprünglich lauter triviale Dinge, die heute hohen Sammlerwert besaßen. Es gab falsche Lakritzschnecken. Ein Valentinsherz, das dank seiner Liebesdioden erglühte. X-Ray-Brillen und kosmetische Schuhe. Eine dunkelrot lackierte Dose, in die man eine Billardkugel tat, die man dann nicht wiederfand, obgleich man sie rumpeln hörte. Da war die Tasse, an deren Boden sich ein Gesicht spiegelte, das,
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