Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
Vom Netzwerk:
zwischen den stinkenden Ruinen. Diejenigen, die zurückkehrten, die ihre Sichtscheiben zertrümmert hatten, um ihre Funde besser untersuchen zu können, prahlten noch ein, zwei Wochen in den Hafenbars von Motel Splendido herum, ehe sie, der Tradition solcher Abenteuer folgend, an einer undefinierbaren Krankheit starben.)
    Seria Maú zog ihre Bibliothek zu Rate. Das südpolare Artefakt, wusste der Eintrag zu berichten, widersetzt sich der Analyse, ist aber allem Anschein nach eher ein Empfänger als ein Sender… Und an späterer Stelle: Es gibt auf Redline durchaus einen Wechsel von Tag und Nacht, aber er folgt einem schwer durchschaubaren Algorithmus. Das war der Ort, der unter ihr lag, so rein und unzweideutig, dass es eine Freude war, ihn anzuschauen. Und dort lag auch ihr Schicksal, in gewisser Hinsicht zumindest. Sie stellte eine Verbindung her.
    »Billy Anker«, sagte sie. »Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Nach einer Weile antwortete eine Stimme, wie zusammengeflickt, ganz leise, vorne Statik, hinten Statik: »Sie wollen landen?« Auf einmal war sie nervös.
    »Ich schicke ein Double.« Sie spielte auf Zeit.
    Billy Anker hatte ein schmales, stoppeliges Gesicht, das dunkle Haar war zu einem brutal kleinen grau melierten Pferdeschwanz gerafft. Alter ungewiss, Haut von abertausend Sonnen gedunkelt. Augen grünlich grau, tief liegend: Mochte er dich, verweilten sie bei dir und bekamen nicht selten einen warmen, vergnügten Glanz; wenn nicht, verweilten sie erst gar nicht. Sonst verrieten sie nichts. Billy Anker war aus Begeisterung in der Radio Bay, und er war immer auf der Suche. (Manche meinten, er sei dort geboren, aber was wussten sie schon? Sie waren Draufgänger und Teilchenjockeys, die immer nur das eigene Garn spannen – mit tonloser Stimme, die ein mit den Ribosomen heimischer Fledermäuse veredelter Carmody Bourbon zerstört hatte.) Er war unnachsichtig mit denen, die nicht so empfanden wie er. Oder nicht wenigstens etwas empfanden.
    »Wir sind hier, um hinzusehen«, konnte er sagen, »und um zu staunen. Wir bleiben nicht lange. Seht euch um. Seht ihr das? Seht mal!«
    Er war ein drahtiger, lebhafter kleiner Mann, der immer dasselbe trug: die untere Hälfte einer uralten Jagdfliegermontur, zwei Lederjacken übereinander und ein rot-grünes Halstuch, das zu einem schrulligen Knoten gebunden war. An der rechten Hand fehlten zwei Finger; sie waren bei einer unsanften Landung in Sigma End verloren gegangen, am Rand der Akkretionsscheibe des berüchtigten Schwarzen Lochs mit dem Namen Radio RX-1 (ganz in der Nähe lag der Eingang zu einem künstlichen Wurmloch, das, wie er damals glaubte, dasselbe Ziel anpeilte wie das Artefakt am Südpol von Redline). Er hatte nie daran gedacht, die Finger ersetzen zu lassen.
    Als Seria Maú vor seinen Füßen landete, musterte er sie eingehend.
    »Wie sehen Sie in Wirklichkeit aus?«, fragte er.
    »Nicht der Rede wert«, sagte Seria Maú. »Ich bin ein K-Schiff.«
    »Allerdings«, sagte Billy Anker mit einem Blick auf die Displays. »Jetzt verstehe ich. Und? Wie sind Sie zufrieden?«
    »Geht Sie nichts an, Billy Anker.«
    »Sie sollten nicht gleich schießen«, erwiderte er. Und nach ein paar Herzschlägen: »Also was gibt es Neues im Universum? Was haben Sie mir voraus?«
    Seria Maú frohlockte. »Das fragt jemand, der in so einer beschissenen Bruchbude haust«, sagte sie und blickte sich ostentativ in seiner Unterkunft um, »und einen Handschuh trägt?« Sie lachte. »Eine ganze Menge, wenn Sie so wollen, auch wenn ich noch nie im Zentrum der Milchstraße war.« Sie zählte ihm ein paar Dinge auf, die sie gesehen hatte.
    »Ich bin beeindruckt«, gestand er.
    Er wippte mit dem Sessel. Dann sagte er: »Ihr K-Schiff. Es kommt ziemlich tief. Sie wissen, was ich mit ›tief kommen‹ meine? Ich hörte, eins davon scheut vor nichts zurück. Haben Sie jemals an den Trakt gedacht? Jemals daran gedacht, es zu riskieren?«
    »Wenn ich mal lebensmüde bin.«
    Sie lachten beide, dann sagte Billy Anker: »Eines Tages müssen wir den Strand verlassen. Wir alle. Erwachsen werden. Den Strand verlassen und auf Tauchfahrt gehen.«
    »Wozu leben wir denn?«, sagte Seria Maú. »Das wollten Sie doch sagen. Wie viele Menschen habe ich das sagen hören. Und wissen Sie was, Billy Anker?«
    »Was?«
    »Alle hatten sie bessere Jacken am Leib als Sie.«
    Er starrte sie an.
    »Sie sind nicht nur ein K-Schiff, Sie sind die White Cat«, sagte er. »Sie sind das Mädchen, das die White Cat gestohlen

Weitere Kostenlose Bücher