Licht über den Klippen
Katrina mir ihre Zustimmung signalisieren.
Ein wenig von ihrem Mut hätte ich nach meiner Begegnung mit
Constable Creed im Hof gut gebrauchen können. Das nächste Mal würde ich vielleicht
nicht so viel Glück haben. Selbst wenn ich nicht vor seinen Augen verschwand,
machte er möglicherweise seine Drohung wahr und nutzte mich als Druckmittel
gegen Daniel. Wenn ich mich nicht mehr in Trelowarth blicken ließ, beseitigte
ich dieses Risiko.
Musste aber mit dem Abschiedsschmerz fertigwerden.
Susan stand vor einer ähnlich schweren Entscheidung. Genau wie vor
langer Zeit Claire.
Wo ich sie finden würde, war klar, denn ich hörte den sanften Klang
des Klaviers aus dem großen vorderen Zimmer schon lange, bevor ich das Haus
betrat. Ich schlich mich hinein, um Claire nicht beim Spielen zu stören. Das
ruhige, ein wenig wehmütige Stück von Chopin entsprach meiner eigenen
momentanen Stimmung. Ich ließ die Finger über die abgegriffenen Rücken der
alten Bände im Bücherregal gleiten, die meine Mutter einmal Onkel George
geschenkt hatte.
Ein Titel interessierte mich besonders. Ich zog ihn heraus, als
Claire gerade das Prélude beendete.
»Nicht aufhören«, sagte ich. »Das war wunderschön.«
»Ich wusste nicht, ob ich das Stück noch kann«, gestand sie
lächelnd. »Ich habe es Jahre nicht gespielt, seit ich so alt war wie du.«
»Und wann war das?«, neckte ich sie. »Gestern?«
Sie freute sich über mein Kompliment. »Manchmal erscheint es mir
so.« Sie blickte zum Fenster hinüber. »Ist Susan noch nicht zurück?«
»Nein.«
»Tja, eine solche Entscheidung darf man nicht überstürzen.«
»Tante Claire?«
»Ja, Liebes?«
»Als du Onkel George kennengelernt hast … ich meine, für dich muss
es eine ganz schöne Umstellung gewesen sein, hierher zu ziehen, nicht nur
geografisch gesehen. Du hast dein Leben völlig verändert, die Erziehung von
Mark und Susan übernommen und alles andere. Wie hast du … Wie kann man bei
einer so wichtigen Entscheidung …?«
»Wie man wissen kann, dass sie richtig ist? Fragst du wegen Susan
oder wegen dir selbst?«
Bevor ich etwas sagen konnte, ging eine Tür, und ich hörte Schritte
am anderen Ende des Flurs. Wenig später betrat Oliver den Raum.
»Haben wir dich heute nicht schon mal rausgeworfen?«, begrüßte
Claire ihn.
Die Jeans und das T-S hirt,
die er nun trug, waren nicht weniger sexy als die Radlerhose. »Ich habe gerade
eine Lieferung erhalten, die Eva interessieren könnte«, erklärte er und hielt
ein Päckchen hoch. »Mark hat gesagt, ich soll ruhig reinkommen.« Er sah sich in
dem Raum um. »Ist Susan noch nicht wieder da?«
»Nein«, antwortete Claire wie ich zuvor.
Oliver hob eine Augenbraue. »Ihr glaubt doch nicht, dass sie ihn
tatsächlich heiratet, oder? Er ist ja ganz nett, dieser Nigel, aber nicht der
Richtige für sie. Das hätte ich ihr gleich sagen können.« Er gesellte sich zu
mir und warf einen Blick auf das Buch in meiner Hand. »Was ist das?«
Ich zeigte es ihm.
» Handbuch der Hausfrau für Haus
und Garten …?«, las er den Titel laut vor.
»In der Überarbeitung von …« Ich schlug den Band auf. »1692.«
»Das erklärt, warum das Ding schon fast auseinanderfällt.«
»Nur der Umschlag ist kaputt. Die Seiten sind völlig in Ordnung.«
Er warf einen Blick hinein. »›Wie man Porridge zubereitet‹?«
»Ja.«
»Aha. Es stört dich nicht, dass der nächste Eintrag lautet:
›Heilmittel gegen Erbrechen‹?«
»Es handelt sich um einen Ratgeber mit Hausmitteln, Rezepten und
Tipps, wie man Wäsche wäscht und Dinge sauber bekommt.« Alles Nützliche für
eine junge Frau, die Ende des siebzehnten Jahrhunderts einen Haushalt führen
musste – oder für jemanden, der eine Zeitreise in die Vergangenheit machte.
»Probier’s doch lieber damit«, riet Oliver mir und gab mir das
Päckchen.
Als ich es auswickelte, kam ein in glattes Leder gebundener Band mit
dem gold geprägten Titel Ein Leben hart am
Wind zum Vorschein: Jack Butlers Tagebuch. »Oliver! Wo hast du
das aufgetrieben?«
»Ich habe meine Quellen.«
Es handelte sich um eine teure Erstausgabe. »Das würdest du mir
wirklich leihen?«
»Nein«, antwortete er und schmunzelte über meine enttäuschte
Reaktion. »Ich schenke es dir.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich kaufe es dir ab.«
»Tut mir leid, geschenkt ist geschenkt.«
Da hörte ich das Geräusch von Autoreifen auf dem Kies der Auffahrt.
Wir verstummten.
Die Wagentür wurde zugeschlagen, dann entfernte sich
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