Licht vom anderen Ufer
Polizeiwachtmeister Federl mit nur mehr zwei Mann den Almhang hinaufzog, während die anderen sich talwärts wandten.
Ein befreiender Zug hob Annas Brust. Sie hatte immer Angst gehabt, dass es einem der Männer vielleicht einfiel, in das kleine Fenster hineinzusehen, oder dass vielleicht der Verwundete plötzlich herausschauen könnte. Gott sei Dank, diese Gefahr war nun vorüber. Eine zweite würde jetzt wohl nicht mehr kommen. Und doch war ihr klar, dass eine große Bürde auf ihre Schultern gelegt war.
Immer kleiner wurden die Gestalten, bevor sie ganz hinter der Kuppe verschwunden waren. Inzwischen war auch das Abendrot aufgestanden, ein rotes, feuriges Leuchten zwischen den grauen Wolkenschüben. Mit feierlicher Ruhe stand es über dem sinkenden Tag, der in Annas Leben so bedeutungsvoll geworden war.
Etwa zwischen Fleck und der Ortschaft Blockstein stand in einer Waldlichtung eine halb verfallene Hütte. In ihr wohnte die Kräutersammlerin Notburga Krenkl. Sie war schon eine alte Frau, hoch über die siebzig, von einer wunderlichen Einfalt und etwas verwildert. Die Kinder machten gerne einen weiten Bogen um die Hütte der Kräuter-Burgl, wie man sie überall nannte, denn man sagte, dass es dort nicht recht geheuer sei und dass die Burgl einen mit einem Hexenbann belegen könnte.
Nichts als törichter Aberglaube. Die Burgl war ein wenig wunderlich, das sei zugegeben. Sie verstand die Zeichen der Zeit nicht mehr und hatte sich eingesponnen in ihre kleine, verträumte Welt, die längst versunken war. Sie war alles andere als eine Hexe, hatte ein stilles, freundliches Gesicht und ein Herz, das für alle schlug, die ihrer Hilfe bedurften. Ja, sie wusste mit ganz einfachen Mitteln zu heilen, und es suchte sie so mancher auf, wenn es dunkel wurde, weil er bei Tageslicht den Mut nicht dazu fand und es niemand wissen sollte, dass man ihrer Heilkunst mehr vertraute als der des Tierarztes oder des Doktors. Die Burgl gewann ihre einfachen Mittel aus der Erde, aus Wurzeln, Kräutern und Blumen.
Die Lichtung lag so still, wie sie vor tausend Jahren gelegen haben mochte. Sie war nur einmal vor etwa achtzig oder neunzig Jahren belebter gewesen, als man hier Torf abbaute. Italiener hatten die Hütte zu diesem Zweck erbaut und nicht mehr abgerissen, als sie gingen. Moos wuchs in grünen Flecken auf dem Dach und die Fensterläden hingen schief an der wurmdurchfressenen Holzwand. Aber die Burgl brauchte auch in dieser Zeit die Fensterläden nie zum Verdunkeln, denn sie ging mit den Vögeln schlafen und stand mit ihnen auf.
Auch heute lag sie bereits auf ihrem harten Lager aus Seegras. Sie schlief noch nicht, hatte die Hände über der Brust gefaltet und dachte daran, mit welch hingebendem Eifer heute gegen Abend der Polizeiwachtmeister Federl in ihrer Hütte einen abgesprungenen Feindflieger gesucht hatte.
Im Raum roch es scharf nach Kräutern und Salben. An der Decke hingen, an langen Schnüren aufgereiht, dürre Blätter und Wurzeln, die im Zwielicht des Mondes, das durch das kleine Fenster fiel, ein wunderliches Gewirr von Schattenbildern an die Wände warfen.
Plötzlich waren Schritte zu vernehmen. Die Alte hob horchend den Kopf und fragte sofort beim ersten Anklopfen ans Fenster: »Wer ist draußen?«
Wahrscheinlich rief man sie wieder in irgendeinen Stall. Vielleicht konnte eine Kuh nicht kalben oder es hatte ein Ross die Kolik.
»Ich bin es, Burgl, die Rauscher Anna.«
Sofort stand die Alte auf, schlüpfte in einen Kittel und in eine Art Männerjacke. Dann öffnete sie die Tür.
»Komm rein, Anna. Was gibt es denn?«
Anna fiel wie erschöpft auf die Kiste, die neben dem Herd stand. »Du musst mir helfen, Burgl. Ich bitte dich, du darfst mich nicht im Stich lassen.«
»Was fehlt dir denn, Kindl?«
»Mir nichts, aber in meiner Hütte liegt einer.«
Die Alte zündete eine Kerze an, die in einer alten Weinflasche steckte, und strich sich die grauen Haarsträhnen aus der Stirn. Ohne dass Anna sagte, wer in ihrer Hütte liege, wusste die Burgl bereits Bescheid. Dennoch fragte sie:
»Und wer liegt in deiner Hütte?«
»Ein Flieger – ein amerikanischer. Mit dem Fallschirm ist er heute abgesprungen und ist verwundet. Burgl – ich weiß mir keinen Rat mehr.«
»Wer kam schon zu mir, wenn er sich selber einen Rat wüsste. Bei dir ist er also.« Sie kicherte lustig vor sich hin. »Denkt hab ich mir’s aber gleich, als ich dich gesehen hab. Und bei mir hat der Federl ihn gesucht.«
»Bei mir waren sie auch. Komm,
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