Lichtbringer - Lichtbringer
die Tunnelbohrer die Wege nicht neu geschaffen, sondern nur Bestehendes erweitert hatten.
Frafa wanderte durch die gelblich erleuchteten Gänge, sie meditierte, wenn sie Erholung brauchte, und nährte sich von der Macht des Äthers, die an diesem Ort ungewöhnlich heftig pulsierte. Immer mehr sank sie ein in die magische Natur dieses Ortes, und während ihr Leib ziellos durch die Hallen streifte, während ihre Insektenschar sich zerstreute, sank ihr Geist tief hinab in den Fels, zum Blut der Erde. Frafa bemerkte Strukturen darin, sie sah die Kraftlinien.
Und dann, sie mochte fünf Tage gewandert sein oder eine Woche, da verstand sie. Die Muster ergaben einen Sinn. Frafa erkannte Flüsse und Wirbel, und sie wusste, wie das Blut der Erde den Stein erfüllte, welchen Weg es nahm. Wie es an einem Punkt besonders hoch emporstieg und wie sich dort alle Kraftlinien vereinten und wahrhaft ein Herz bildeten.
Sie erinnerte sich, wie sie Aldungan gefunden hatte in der zentralen Kammer dieser Höhlen, in jener Grotte, wo das Blut der Erde in einem Becken an die Oberfläche kam. Wenn sie den Kraftlinien unter ihren Füßen folgte, wenn sie sich auf jenen Knoten zubewegte, wo diese Linien aufeinanderstießen, dann würde sie unweigerlich an ihr Ziel kommen.
Das zu erkennen war leicht. Den Weg zu finden war schwieriger. Frafa vertraute sich ganz ihren magischen Sinnen an, doch die Gänge zwangen sie auf bestimmte Wege. Es war unmöglich, sich in gerader Linie dem Ziel zu nähern, aber immerhin hatte sie jetzt ein Ziel, einen festen Punkt, an dem sie sich ausrichten konnte wie an einem Kompass. Wo immer sie war, wo immer sie sich hinbewegte -stets wusste sie, in welcher Richtung ihr Ziel lag, und sie kam diesem Ziel näher.
Sie stieß an Wände, hatte das Gefühl, dass nur wenige Meter Stein zwischen ihr und der Quelle lagen, womöglich nur eine Mauer. Mehr als einmal dachte sie darüber nach, mit Magie durchzubrechen, doch sie scheute vor Gewalt zurück, vor Zaubern, die weitab von ihrem Fachgebiet lagen und mit denen sie nicht vertraut war. Was für Folgen mochte das haben, an diesem Ort? Nein, es musste einen richtigen Zugang geben!
Frafa bahnte sich ihren Weg durch Türen, kroch durch Kabel- und Belüftungsschächte. Dann stand sie ein weiteres Mal vor einer Wand. Sie tastete mit den Fingern und mit ihrem Geist, sie klopfte dagegen und war überzeugt davon, dass es sich nur um eine dünne eingezogene Trennwand aus Formbein handelte.
Sie legte beide Handflächen darauf, konzentrierte sich. Das Material wurde weich und gab nach. Frafa trat einen Schritt vor, das Formbein floss um ihren Leib, gab mit einem Schmatzen nach - und sie war hindurch.
Eine weite Halle lag vor ihr, deren Dach zur einen Seite abfiel. Während Frafa dastand und blinzelte und versuchte, etwas zu erkennen, flammten oben unter der Decke strahlende Linien auf. Uralte Magie erwachte zum Leben und füllte den weiten Raum mit kaltem Licht.
Frafa sah Tische und Schmelzöfen, ein alchemistisches Labor, und auf der anderen Seite der Halle, weit entfernt, das winzige Becken, bei dem sie einst Aldungan gefunden hatte, und sie wusste, dass sie am Ziel war.
Die Quelle des Blutes. Wo sie vielleicht eine Antwort fand - eine Antwort auf die Frage, wen sie vor beinahe tausend Jahren zurück nach Daugazburg geholt hatte.
Die Halle hatte sich verändert. Eine moderne alchemistische Arbeitsstätte war hier eingerichtet worden - und nun schon wieder seit Jahrhunderten veraltet.
Hinter der falschen Mauer aus Formbein fand Frafa verschiedene Räumlichkeiten: eine Bibliothek, Schlafsäle, Vorratskammern - aber alles war verlassen. Die Vorratskammern waren leer, in den Schlafräumen standen fleckige Möbel und rostige Bettgestelle.
Frafa verbrachte viel Zeit in der Bibliothek. Die Bücher waren noch da, doch sämtliche Notizen, die verrieten, woran genau man an diesem Ort gearbeitet hatte, wer hier gewesen war, das alles war verschwunden. Frafa blätterte in Folianten und prüfte jede Schriftrolle.
In manchen Werken fand sie ganze Stratigraphien an Marginalien - Unterstreichungen und handschriftliche Erläuterungen am Rand, Korrekturen der Erläuterungen und Erläuterungen zu den Erläuterungen.
Aber auf eine gewisse unpersönliche Weise verrieten die Werke Frafa doch einiges: Es waren alte Schriften darunter, die außerhalb dieser Hallen in Vergessenheit geraten waren, ebenso wie neuere Aufzeichnungen, die bis in die Zeit vor dreihundert Jahren zurückreichten.
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