Lichterfest
originelle Nutzung von freiem Raum, andersartige Bars und Klubs, die sich nicht unbedingt dem Kommerz verschrieben haben. Und natürlich florieren auch das horizontale Gewerbe und der Drogenhandel, das gehört einfach dazu.
Das ist weit entfernt vom glitzernden Luxus der Bahnhofstrasse oder dem gutbürgerlichen Seefeld, wo gleich nach Ladenschluss die Gehsteige hochgeklappt werden und dann auf Anweisung des Anwalts gefälligst Ruhe herrscht.
Deswegen ziehen sie in Scharen hierher, in teuer und edel ausgebaute Wohnungen, in denen früher genau die Leute gelebt haben, die für die spezielle Stimmung verantwortlich waren und die sich plötzlich die Mieten nicht mehr leisten können. Ich meine damit nicht nur Prostituierte und Drogenhändler, die sowieso, sondern auch ältere Leute, gerade die Einwanderer aus Italien, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben, Familien mit Kindern, alteingesessene Ladenbetreiber, Wohngemeinschaften.
Und dann reiben sich die Neuzuzügler die Augen und sind ganz betrübt, dass die Gegend doch nicht so lebendig ist, wie sie gedacht haben. Oder sie ist eben zu lebendig für ihren Geschmack, und man deckt erst mal die gesamte Nachbarschaft mit Lärmklagen ein. Diese Leute zerstören, unwissentlich oder nicht, genau das Ambiente, wegen dem sie hergezogen sind.«
Nachdenklich sah ich mich um. Die Fassaden der Häuser ringsherum waren abgenutzt und rußgeschwärzt, Risse zogen sich durch den Verputz, falls er nicht schon längst abgeblättert war. Manche der Fenster waren blind, die Rahmen kaum mehr dicht. Ein bisschen Aufwertung hätte diesen Gebäuden sicher nicht geschadet.
»Man kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Die Häuser hier sind momentan Gold wert.«
Eleonora schüttelte resigniert den Kopf. »Die meisten gehören einer Holdinggesellschaft, einigen wenigen Privateigentümern oder der Stadt. Aber die wissen auch alle, dass hier ein Vermögen rumsteht, blöd sind die nicht. Es gibt diesen erfolgreichen Anwalt, Paul Nyffenegger, der kauft ein Haus nach dem andern auf, und seine Frau, eine Architektin, kümmert sich dann um den Umbau. Wenn das so weitergeht, gehört dem bald das ganze Quartier. Bei etlichen Gebäuden mehren sich die Anzeichen für eine bevorstehende Renovation.«
»Und diese Holdinggesellschaft? Verkauft die auch?«
»Soviel ich weiß, gehört die Walter Graf, dem rechten Politiker.«
»Aber der setzt sich ja vehement dafür ein, damit nicht der ganze Kreis umgebaut wird und es weiterhin bezahlbare Wohnungen im Stadtzentrum gibt.«
Eleonora lachte bitter. »Es ist Wahlkampf. Da versprechen die Politiker so vieles, das sie später nicht halten. Zudem glaube ich, dass es eher seine Frau Alice ist, die hinter der Idee zu Stadtwohnraum für alle steckt. Im Gegensatz zu ihm hat sie wirklich eine soziale Ader. Aber wenn er tatsächlich gewählt wird, dann sehe ich schwarz für solche Projekte.«
»Im Moment stehen seine Chancen gut.«
»Leider.«
»Du magst ihn nicht besonders?«
Eleonora sah mich mit flackerndem Blick an. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Er ist ein Schwein, der sich schon mehrmals an jungen Mädchen vergriffen hat, ohne dass er jemals dafür belangt wurde. Und die Medien ignorieren das Thema einfach!« Wütend ballte sie die Fäuste, ihre Kieferknochen standen kantig vor, während sie weitersprach: »Gerade in der Boulevardpresse sind regelrechte Lobeshymnen auf ihn zu lesen, das ist einfach widerlich. Und so einer will unsere Stadt regieren! Jemand müsste das verhindern!«
Ich war erstaunt über ihre heftige Reaktion, andererseits hing ihre Existenz als Künstlerin davon ab, dass es weiterhin billige Räume für Kunst innerhalb der Stadtgrenzen gab. Und natürlich hatte sie recht, auch wenn es nicht in unserer Macht stand, etwas daran zu ändern. Alles, was wir tun konnten, war, die Konkurrenz zu wählen, so lasch die auch war und selbst wenn es diesmal wohl vergebens sein würde. Ich griff zur Flasche und füllte unsere Becher. Einen Moment lang saßen wir still nebeneinander.
»Kennst du eine Rosa Maria Perez Martinez de la Cruz?« Der Name kam mir mittlerweile ganz selbstverständlich über die Lippen.
Eleonora wandte sich mir zu und runzelte die Augenbrauen. Sie hatte sich etwas beruhigt, ihr Blick war wieder sanfter. »Du meinst Rosie? Etwas … beleibt?«
»Du kennst sie? Aus Venezuela, sie arbeitet als Putzfrau.«
Eleonora nickte eifrig. »Ja, genau, das ist Rosie.«
»Unglaublich!«, rief ich aus. »Diese Stadt ist ein Kaff!
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