Lichterfest
genommen, der Durchbruch ist nahe, so was spüre ich.«
»Resultate, Kumar, Resultate will ich sehen! Und zwar schnellstmöglich! Ersparen Sie mir das Gelaber!«
»Aye, aye, Käpten.«
»Wie bitte?«
»Selbstverständlich, Herr Blanchard.«
Ich beendete den Anruf und wandte mich José zu. »Und du willst wirklich für den arbeiten?«
Er ging nicht darauf ein. »Dieser Typ war also nicht bei Fernando. Das bedeutet: Was auch immer er sich beschaffen wollte, ist noch dort.«
»Muss wohl so sein.« Ich rechnete mir aus, wie lange ich im Feierabendverkehr bis zur Langstrasse brauchte. Zu Fernando konnten wir heute nicht, das hatte der Doktor unmissverständlich klargemacht. Aber ich konnte es in der Zwischenzeit erneut bei Rosie versuchen.
»Wir müssen so bald wie möglich wieder herkommen. Bis Freitag dürfen wir nicht warten, sonst kommt uns die rennende Mumie zuvor«, warnte José.
»Das tun wir aber nur, wenn Dr. Biasi seinen freien Tag hat. Sonst will er mich wieder zu Leibesertüchtigungen ermuntern.«
»Na ja, ein paar Kilos weniger würden nicht schaden.«
»José!«
»Ich meinte ja nur …«
Als ich in die Brauerstrasse einbog, tauchte die Dämmerung das Quartier bereits in ein diffuses, grobkörniges Licht mit Violettstich.
Nur zwei Damen stöckelten den imaginären Catwalk ab, die anderen waren wohl entweder bei der Arbeit, fütterten die Nachkommen oder gönnten sich einfach einen Power-Nap zwischendurch.
Wieder war die Tür nur angelehnt, wahrscheinlich wegen der im Innenhof spielenden Kinder. Mit zwiespältigen Gefühlen musterte ich die Treppe und dachte dabei kurz an Dr. Biasi, entschied mich dann aber doch für den Lift. Die Wohnung lag immerhin im dritten Stock.
Ich klingelte bei Rosie, doch wie befürchtet war niemand zu Hause. Durch die Tür nebenan drangen gedämpft Bachata-Klänge, ein nerviger südamerikanischer Musikstil, dessen Stücke aufgrund des Rhythmus alle identisch zu klingen schienen. Dieter Bohlen musste ein großer Fan sein.
Nachdenklich schlenderte ich durch das Treppenhaus nach unten. Es roch nach Putzmittel und Parfüm, und im zweiten Stock umschwebte mich eine süßlich riechende Marihuanawolke. Irgendwo wurde eine Wohnungstür aufgerissen, ein helles Lachen drang heraus, jemand schlurfte über den Flur und brummte missmutig einige Worte auf Spanisch, bevor das heftige Zuschlagen einer weiteren oder derselben Tür die Geräusche unterbrach.
Als ich aus dem Haus trat, steckte ich mir eine Zigarette an und überlegte, wie ich Blanchards Rosie auftreiben könnte. In ihrer Gemeinschaft schien man sich nicht allzu große Sorgen über ihr Verschwinden zu machen, und eine andere Spur fehlte mir zurzeit. Ich drehte mich um und blickte an der Hausfassade hinauf. Lichter brannten in den Küchenfenstern, im vierten Stock hatten Kinder mit Fingerfarben die Scheiben bemalt. Ich stapfte zurück Richtung Langstrasse und dachte an die Flasche Amrut, die sich zu Hause hoffentlich genauso nach mir sehnte wie ich mich nach ihr.
Eine heftige Unlust erfasste mich. Einmal mehr zweifelte ich an meiner Berufswahl. Die aufregenden Fälle, derentwegen ich überhaupt Detektiv geworden war, waren äußerst rar. Meist kroch ich auf den Knien herum und suchte mit der Nase im Straßendreck irgendwas oder irgendwen für andere Leute, schnüffelte mich durch privateste Korrespondenz und blätterte Aktenberge nach Unregelmäßigkeiten durch. Oder ich wartete reglos hinter einem Busch, meist im strömenden Regen, bis sich jemand durch sein illegales Verhalten oder seine ehebrecherischen Absichten verriet. Andererseits hatte ich mich an die Vorteile dieser Beschäftigung gewöhnt: die damit verbundenen Freiheiten, die in der Regel selbst wählbaren, meinem Biorhythmus angepassten Arbeitszeiten, die Promilletoleranz, das Fehlen einer Kantine mit pappigen Menüs und die Absenz jeglicher Vorgesetzten. Der Weg zurück in einen öden Bürojob oder – noch schlimmer – in den Lebensmittelladen meiner Mutter schien mir unvorstellbar. Doch manchmal zweifelte ich trotzdem daran, dass dieser Job zu meiner Lebensaufgabe mutieren könnte. Meist dann, wenn ich nicht vom Fleck kam wie jetzt.
Ich schnippte die Zigarette auf den Gehsteig und betrachtete nachdenklich den hell erleuchteten Ausstellungsraum, der sich an der äußersten Ecke der Brauerstrasse befand. Die nüchterne Inschrift auf einer weißen Plakette über dem Eingang wies darauf hin, dass es sich bei Perla-Mode um einen ehemaligen
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