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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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Kleiderladen handelte, in dem man, wenn ich mich richtig erinnerte, früher auf der Suche nach tannengrünen Kostümen für osteuropäische Diktatorengattinnen stets fündig geworden war. Auch glaubte ich, mich an die verstaubten Schaufensterpuppen mit Dauerwelleperücken zu erinnern, die mit dicken Perlenketten aus Plastik dekoriert waren und verfranste Abendkleider trugen, die ihre Trägerinnen wie exotische Wasservögel aussehen ließen. Eine schöne Tradition, die von der abgewrackten Boutique gegenüber liebevoll weitergepflegt wurde, während das Lokal hier komplett ausgeräumt worden war und mittlerweile als Galerie diente.
    Drinnen hingen Bilder an den Wänden, filigrane Motive allesamt, durchscheinende, gespensterhafte Silhouetten aufdunklem Grund. Auf einer Leiter stand eine zerbrechlich wir kende Frau in einer sackartig gestrickten Jacke und richtete gerade zwei Strahler auf eines der Kunstwerke aus. Als hätte sie mich bemerkt, wandte sie sich plötzlich um, kniff die Au gen zusammen und winkte mir dann lächelnd zu. Ich winkte zurück und sah sie eilig von der Leiter heruntersteigen.
    »Sind Sie wegen der Vernissage hier?«, rief sie mir durch die offen stehende Tür zu. »Die findet nämlich erst morgen statt.«
    Ich nickte mit Verzögerung, als käme mir das erst jetzt wieder in den Sinn.
    Die Frau trat aus der Galerie heraus, trippelte auf mich zu und hielt mich beherzt am Arm fest. Aus der Nähe wirkte sie noch zierlicher, ihre Haut war hell, beinahe weiß, das Haar von einer blassen, verwaschenen Farbe, die am ehesten Orange zuzuordnen war, es hing ihr wirr und lockig ins sommersprossige Gesicht. Obwohl sie etwa fünfzig war, wirkte sie mädchenhaft und voller Energie, aber auch ein wenig naiv in ihrer Begeisterung, mit der sie mich jetzt hinter sich herzog.
    »Sehen Sie sich ruhig um. Noch sind nicht alle Bilder perfekt ausgeleuchtet, aber ich arbeite daran. Falls Sie Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, sie zu stellen.« Sie erklomm ihre Leiter und rückte eine der Lampen zurecht. »Ich bin übrigens Eleonora.«
    »Vijay Kumar.«
    »Ach, du bist Inder?«
    »Nein, Inder.«
    Sie starrte mich mit offenem Mund an.
    Irritiert blickte ich zurück, erst dann realisierte ich, was ich gerade gesagt hatte.
    »Ich meine … Ich habe schon so oft … und normalerweise …«
    Eleonora lachte laut auf und winkte ab. »Autopilot. Ich verstehe.«
    Dann wandte sie sich um und rief etwas nach hinten, worauf eine farblose Frau mittleren Altes im Durchgang erschien, der in einen weiteren Raum führte, und mit freudlosem Gesichtsausdruck stehen blieb.
    »Du kannst dann gehen, Irma.«
    Während Irma das Feld räumte, besah ich mir die Werke und war merkwürdig fasziniert. Alles war in dieser weißlichen, leicht lumineszierenden Farbe gemalt, die teilweise fast durchsichtig, manchmal aber auch dicker aufgetragen war und trüb aussah. Meist waren Szenen dargestellt, aus denen Gewalt sprach, angedeutete, nackte Frauenkörper in verschlungenen Umarmungen, die an Würgen erinnerten. Auf einem Bild wurde ein junges Mädchen von dämonischen Wesen in verschiedene Richtungen gezerrt, auf einem andern rissen Bestien Fleischstücke aus einem weiblichen Torso. Die Wut in diesen Bildern schien mich geradezu von der Leinwand anzuspringen.
    Wie immer in solchen Situationen fehlte mir das notwendige Vokabular, um Kunst zu beschreiben oder gar zu werten. Ganz im Gegensatz zu den anderen beiden verfrühten Ausstellungsbesuchern, einem ergrauten, aber rüstigen Pärchen, das sich ebenfalls in der Galerie befand und mit seinen dunkelblauen Burberry-Regenjacken über dem Arm unbeirrt die Kunstwerke abschritt, als handle es sich dabei um einen Postenlauf, und dazu mit abschätziger Miene halblaut gemurmelte Kommentare abgab. Die Mienen besagten, dass sie die Künstlerin kannten, aber eigentlich nicht mochten, so etwa wie sie die erste unstandesgemäße Freundin ihres Sohnes nicht gemocht hatten. Die Kommentare klangen, als stammten sie aus einem Katalog.
    Grußlos verließen sie jetzt die Ausstellung, nicht ohne vorher nochmals nach der Künstlerin zu spähen. Eleonora zuckte mit den Schultern und lächelte. »Leute, die Kunst einzig als Anlage betrachten. Aber mit meinen Bildern kann sich keiner das Rentenalter vergolden, befürchte ich.«
    Ich grinste und wandte mich wieder den Gemälden zu. »Eindrücklich«, murmelte ich.
    »Sperma.«
    Ruckartig wich ich von dem Gemälde zurück, das ich gerade im Begriff war zu betrachten.

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