Lichterfest
genügend andere Sorgen.«
Ich überlegte mir, Rosie vor dem Spital aufzulauern, doch angesichts des akuten Personalmangels in meiner Detektei verwarf ich den Gedanken gleich wieder. Rosie befand sich offenbar in Sicherheit, das war momentan das Wichtigste.
»Wie geht es Fernando?«, erkundigte ich mich.
»Sein Zustand ist stabil. Obwohl er immer noch im Koma liegt. Der Arzt hat gesagt, es wird einige Zeit dauern, bis er sich von der Attacke erholt hat.« Ihre Mundwinkel begannen zu zucken. »Er ist doch erst einundzwanzig.«
Einem Impuls folgend, trat ich auf sie zu, legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an mich. Sofort barg sie ihr Gesicht an meiner Brust.
»Jetzt wird’s widerlich«, schnaubte Antonia und stapfte davon. Wenig später schlug eine Tür zu, und Lady Gagas Paparazzi drang gedämpft aus dem Zimmer. Es schien, als hätten sich in diesem Herbst die Radiostationen endgültig dem Diktat der Plattenfirmen gebeugt und spielten deshalb nur noch die Songs einer einzigen Künstlerin.
Behutsam löste ich mich von Pilar. Sie wischte hastig die Tränen ab und sah mich etwas beschämt an.
»Ich würde mir gern Fernandos Zimmer ansehen. Vielleicht findet sich da eine Erklärung dafür, warum er angegriffen wurde.«
Während ich mich in dem schmalen Raum, der gerade genügend Platz für ein Bett und einen Schrank bot, umsah, blieb Pilar im Türrahmen stehen und sah mir interessiert zu. Auf dem kleinen Schreibtisch vor dem Fenster stand ein alter Mac mit einem Gehäuse aus blauem Kunststoff, wie er in den Neunzigern produziert wurde, daneben lagen einige Magazine mit Autos und spärlich bekleideten Frauen auf den Titelseiten sowie ein Lehrbuch für angehende Gastronomen.
»Er macht ein Praktikum«, erklärte Pilar, als ich das Buch aufklappte. »Im Hotel Rothaus. Service, Küche, Rezeption, alles. Er wollte später die Hotelfachschule besuchen.« Wieder begannen ihre Mundwinkel zu zucken.
»Das wird er«, sagte ich zuversichtlicher, als ich es selbst war. Sie lächelte dankbar.
Ich öffnete die Schubladen des Schreibtisches und durchstöberte den Kleiderschrank, ohne dass mir dabei etwas Ungewöhnliches auffiel. Ich befand mich in einem ganz normalen Jungenzimmer. An der Wand hingen Poster von zwei Fußballmannschaften, der venezolanischen und der Schweizer. Das kam mir vertraut vor. Wie es schien, versuchte sich auch hier einer im Spagat.
»Was mir gerade einfällt …«
Aufmunternd sah ich Pilar an.
»Sie haben vorhin Blanchard erwähnt.«
Ich nickte.
»Rosie hat bei ihm geputzt.«
»Ich weiß. Hatten die beiden eventuell ein Verhältnis?«
»Rosie mit Blanchard?« Pilar verzog angewidert das Gesicht.
Wie es schien, war eine erotische Verbindung zwischen den beiden unvorstellbar.
»Haben Sie eine Idee, weshalb er sie so dringend sucht?«
Pilar überlegte, dann schüttelte sie den Kopf. »Rosie hat erst letzthin bei ihm geputzt, ihre Dienste wird er kaum schon wieder beanspruchen.«
»Wann war sie bei ihm?«
»Das weiß ich nicht genau. Aber Sie können sich gern in ihrer Wohnung umsehen, vielleicht hat sie ihre Agenda dagelassen.«
Es roch blumig in Rosies Wohnzimmer, passenderweise, und etwas weniger passend nach Mottenkugeln. Obwohl die Wohnung denselben Grundriss hatte wie Pilars, mutete sie ungleich dunkler und dramatischer an. Vorhänge mit üppigen goldbestickten Bordüren und schwülstigen Blumenmotiven verdeckten beinahe die Fenster dahinter, an den Wänden hingen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos von miesepetrig in die Kamera guckenden Ahnen, das Sofa lag unter einer purpurroten Tagesdecke begraben, den Boden bedeckte ein filziger Teppich in Dunkelgrün.
»Da liegt die Agenda.« Pilar deutete auf ein schweres, antik anmutendes Tischchen, auf dem ein in weinrotes Leder eingebundenes Buch aufgeschlagen lag.
Rasch überflog ich die Einträge, die auf der offenen Doppelseite zu sehen waren, es waren nur wenige. Doch als ich zurückblätterte, zur vergangenen Woche, sah ich, dass am Samstag Blanchard eingetragen war. Um zehn Uhr morgens.
»Sie ist erst vor drei Tagen bei Blanchard gewesen.«
»Das habe ich Ihnen ja gesagt.«
»Wie lange hat sie da jeweils geputzt?«
»Etwa sechs Stunden, ich weiß es nicht genau.«
»Jeden Samstag?«
»Zweimal die Woche. Er bucht sie jeweils an den Tagen, an denen er nicht zu Hause ist, weil er sich sonst gestört fühlt. Rosie weiß ihre Termine immer auswendig, deshalb hat sie wohl auch die Agenda nicht mitgenommen.«
Wenn Rosie am
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