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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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vielen Buchstaben?«
    »Halt die Klappe.«
    »Also nur ein Kunstdiebstahl?«
    »Man geht davon aus.«
    »Am helllichten Tag?«
    »Es ist eine ruhige Gegend. Hier wohnen viele ältere Leute, die nicht mehr so gut hören, und die Häuser stehen relativ weit auseinander und sind von Hecken umgeben.«
    Irgendetwas ließ mich stutzen, doch ich kam nicht auf Anhieb drauf, was es war. »Alarmanlage?«
    »Sie hätten vor einigen Tagen Gemälde umgehängt, sagt Alice Graf, und danach vergessen, sie wieder einzuschalten.«
    »Da haben die Einbrecher aber zünftig Glück gehabt!«
    »Nicht unbedingt. Das Quartier liegt etwas abgelegen. Wenn sie also rasch eingedrungen sind, genau gewusst haben, wo das Bild hing, und gleich wieder verschwunden sind, kann das trotz Alarm locker gereicht haben, bevor die Polizei vor Ort war.«
    »Wieso haben sie nur ein Bild mitgenommen? Soviel ich weiß, besaß Graf eine äußerst wertvolle Gemäldesammlung.«
    José zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat den Einbrechern das eine Bild gereicht. Zehn Millionen sind schon mal nicht schlecht als Startkapital für ein arbeitsarmes Leben.«
    »Und wenn es ein Auftragsraub war? Von einem Kunstsammler?«
    »Dazu habe ich bislang nichts gehört. Der Polizei wird der Gedanke aber sicher auch schon gekommen sein.«
    »Hat jemand etwas beobachtet?«
    »Zwei Zeuginnen behaupten, dass ihnen ein bronzefarbener Wagen aufgefallen sei. Sonst nichts.«
    »Spuren?«
    »Keine.«
    »Und das Bild?«
    »Öl auf Leinwand, solche Gemälde muss man nicht einmal herausschneiden, sondern kann sie einfach aus dem Rahmen lösen. Der leere Bilderrahmen steht ja angeblich auch noch im Wohnzimmer.«
    Ich überlegte. »Hat Graf den oder die Einbrecher auf frischer Tat ertappt? Gab es ein Handgemenge und sie haben ihn dabei die Treppe hinuntergestoßen, wo er unglücklich in die Speere fiel?«
    »Man ermittelt. Ich lass es dich wissen, wenn ich mehr erfahre.«
    Ich zündete mir eine Zigarette an und blickte nachdenklich auf das Haus.
    »Die Putzfrau, die ich im Auftrag von Blanchard suche, hat gestern Morgen hier gearbeitet.«
    José sah mich alarmiert an. »Gestern Morgen? Von einer Putzfrau war zwar kurz die Rede, aber Frau Graf hat sie nicht erwähnt.«
    »Aber so steht es in ihrer Agenda. Ich hab’s selbst gesehen.«
    »Hm.«
    »Sie war äußerst zuverlässig!« Das wusste ich zwar nicht, aber ich nahm an, dass sie über gewisse Qualitäten verfügte, wenn sie den Staubsauger durch die Wohnzimmer der Prominenz schieben durfte.
    José sah mich zweifelnd an. »Ich werde der Sache mal nachgehen. Warte hier.«
    Ich sah meinem Freund hinterher, wie er auf die herumstehenden Journalisten zuging. Als ich mich abwandte, fiel mein Blick auf das Haus mit dem Lattenzaun, an dem ich gestern gelehnt hatte. Schlagartig wusste ich, weshalb ich vorhin irritiert gewesen war.
     
    Ich sah der Frau eine Weile zu, wie sie mit angestrengter Miene Zweige abzwackte, ein, zwei Schritte zurücktrat, ihr Werk kritisch begutachtete, um dann weiterzuschneiden. Ich verstand zwar nicht allzu viel von Gartenarbeit, doch es erschien mir merkwürdig, dass sie bereits im Herbst an den Büschen herumschnippelte.
    Die Frau trug schmutzig gelbe Gartenhandschuhe, eine sandfarbene Strickjacke und grüne Gärtnerhosen, die beinahe weißen Haare hatte sie locker im Nacken zusammengebunden. Ich wusste, dass sie mich bemerkt hatte, und ich wusste auch, dass sie wusste, dass ich das wusste. Aber wir taten beide so, als wüssten wir es nicht.
    »Jedes Jahr dasselbe. Aber es macht mir Spaß, verstehen Sie?«, bemerkte sie unvermittelt und betrachtete mit einem befriedigten Seufzer den eben zurechtgestutzten Weißdornbusch.
    Sie sprach leise, wie zu sich selbst. »Sie kommen wegen Graf, nicht wahr?«
    Sie wandte sich zu mir um und sah mich direkt an. Ihre Augen waren von einem hellen, klaren Blau, die Lippen schmal. Das von Falten überzogene Gesicht strahlte eine Ruhe aus, die sich unweigerlich auf mich zu übertragen schien.
    »Vierundachtzig bin ich jetzt und mache das meiste im Garten noch selbst«, fuhr sie fort, als erübrige sich eine Antwort meinerseits. Die Polizei musste sie längst befragt haben.
    »Ist das nicht sonderbar? Mein ganzes Leben war ich unterwegs, bin gereist, zuerst mit meinem Mann und nach seinem Tod allein, manchmal mit Freundinnen. Ich habe Abenteuer erlebt und Dinge gesehen, die nicht für jedermann bestimmt waren. So viel Schreckliches. So viel Schönes.« Sie hatte immer langsamer und

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