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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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dem Sofa doch etwas zu intim erschien, gemessen an unserer Vorgeschichte. Im hellen Sonnenlicht, das auf ihr Gesicht fiel, sah ich plötzlich die dunklen Schatten unter ihren Augen, die angespannten Kiefermuskeln, den harten Zug um den Mund. Sie sah komplett übernächtigt aus und schien am Ende ihrer Kräfte.
    »Wo ist Ihre Schwester, Frau de la Cruz?«, fragte ich sanft.
    Pilar sah mich prüfend an. Dann erhob sie sich und begann, im Raum auf und ab zu gehen wie ein eingesperrtes Raubtier.
    »Ich weiß es nicht. Sie sagt, es gehe ihr gut, aber sie müsse für einen Moment von der Bildfläche verschwinden. Weshalb, verrät sie mir nicht. Dafür weint sie andauernd.«
    Das kam mir bekannt vor.
    »Ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun, aber ich komme nicht an sie ran. Sie versteckt sich irgendwo und will mit keinem reden. Dabei ist sie doch meine Schwester!«
    »Sie ruft hin und wieder bei Ihnen an?«
    »Nein, wieso sollte sie?«
    »Wann haben Sie dann mit ihr gesprochen?«
    »Im Spital.«
    »Sie war im Spital?«
    Pilar sah mich gereizt an. »Ja, natürlich!«
    Bevor ich weitere Fragen stellen konnte, rasselte im Flur ein Schlüsselbund, jemand schlug die Wohnungstür zu und ein Rucksack landete unsanft in einer Ecke. Daraufhin betrat zu meiner Überraschung eine alte Bekannte das Wohnzimmer.
    »Was macht denn der Schnüffler hier?«, fragte Antonia und ließ eine Kaugummiblase platzen.
    Pilar warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Ihr kennt euch?«
    »Leider.«
    »Das ist Antonia, meine Tochter«, erklärte Pilar an mich gewandt.
    »Du hast mir nicht gesagt, dass Rosie deine Tante ist«, bemerkte ich und sah Antonia an.
    »Du hast nicht gefragt.« Antonia, die heute ein pinkfarbenes T-Shirt mit einem Hello-Kitty-Aufdruck unter einem weiten Herrenhemd trug, sah mich herausfordernd an, während sie achtlos einen Stapel Post auf den Tisch warf.
    »Nichts Spannendes dabei, aber wenigstens keine Rechnungen. Mama, sieh dir mal meine Fingernägel an.«
    Während sich Pilar über die glitzernden Nägel beugte, ließ ich meinen Blick beiläufig über die Werbeprospekte schweifen und erkannte neben dem rot leuchtenden Aktionsangebot für Hähnchenspieße Walter Graf, der leutselig von einer Parteibroschüre grinste. Ich fand das ein wenig makaber, aber trotz allem war natürlich immer noch Wahlkampf. Unter der Werbung ragte die Ecke eines Briefes hervor. Ich las die Adresse – Berufskrankheit.
    Und stutzte. »Fernando Hirt?« Alarmiert suchte ich Pilars Blick.
    Sie war immer noch abgelenkt, nur Antonia blähte verächtlich die Backen.
    »Fernando Hirt wohnt hier?« Ich war wie vor den Kopf gestoßen.
    »Er ist mein Bruder.«
    Nun plötzlich doch hellhörig geworden, blickte Pilar auf. »Mein Sohn. Er liegt im Spital.«
    »Sie haben mir kein Wort davon gesagt!«, rief ich aufgeregt, ich konnte nicht mehr still sitzen.
    »Wir hatten ja gerade …«, verteidigte sie sich unsicher.
    »Mein Gott, wenn ich das bloß gewusst hätte! Wie kommt er zu dem Namen?« Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.
    »Ich war verheiratet, mit Matthias Hirt. Er ist abgehauen, als Fernando zwei Jahre alt war.« Sie sah mich an, ohne Bitterkeit im Blick. »Ich habe meinen Mädchennamen wieder angenommen, aber für die Kinder, dachte ich, wäre es einfacher …«
    »Mama war mal Miss Venezuela «, erklärte Antonia etwas zusammenhangslos und zog mich stolz zu einem Foto, das im Flur hing. Selbstverständlich hatte ich es vorhin beim Rangeln mit ihrer Mutter übersehen. Ich betrachtete das Bild der hübschen, jungen Frau, die mit dem Krönlein im Haar dem Fotografen zuwinkte. Sie schien in einer Fernsehkulisse zu stehen, und ihr Lachen wirkte so echt und natürlich, wie es nur bei einer Schönheitskönigin möglich war.
    »Da war ich neunzehn.«
    »So alt wie ich jetzt«, feixte Antonia.
    Pilar sah ihre Tochter nachdenklich an. »Neunzehn. Wie die Zeit vergeht.«
    »Ich bin alt genug, dass du mich endlich bei einer Modelagentur …«
    »Antonia!«, Pilar klang jetzt streng. »Du weißt genau, was wir vereinbart haben.«
    »Ja, ja, erst die Lehre, die Berufsschule und dann möglicherweise …« Sie gähnte demonstrativ, dann blickte sie ihre Mutter plötzlich trotzig an. »Aber wenn ich auf der Straße entdeckt würde …«
    »Wenn ihr nichts dagegen hättet, würde ich den Faden gerne wieder aufnehmen!«
    Die beiden Frauen sahen mich an, als hätten sie meine Anwesenheit komplett vergessen.
    »Sie treffen Rosie also am Krankenbett Ihres

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