Lichterfest
Sohnes?«
Pilar nickte. »Sie ist ja seine Tante und oft dort, beinahe ununterbrochen seit seinem … Unfall. Sie hängt sehr an den Kindern, vielleicht weil sie selber keine hat.« Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Diese Gesellschaft … Sie wird immer brutaler, kein Respekt mehr vor den Menschen, vor dem Leben. Diese Kerle hätten Fernando umbringen können.« Sie fasste die mir ohnehin bekannten Umstände zusammen, die ihren Sohn auf die Intensivstation gebracht hatten.
»Vielleicht hätten sie es getan, wenn wir … wenn nicht rechtzeitig die Polizei eingetroffen wäre.« Ich erachtete es plötzlich als klüger, Pilar nicht zu erzählen, dass ich dabei gewesen war, als der Übergriff geschah.
»Aber es ist so sinnlos!« Verzweifelt sah sie mich an. »Was sind das bloß für Menschen?«
Darauf hatte ich keine Antwort. Ich wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte, und räusperte mich dann etwas umständlich, um nicht allzu kaltschnäuzig zu wirken. »Ich möchte das alles nur mal kurz zusammenfassen: Rosie verschwindet und wird von Blanchard, dem Medientycoon, gesucht. Kurz bevor er sich an mich wendet, versucht man, bei Rosie einzubrechen. In derselben Nacht schlägt eine Bande Jugendlicher Fernando spitalreif. So viele Ereignisse in so kurzer Zeit, das kann kein Zufall sein. Das sagt mir mein Detektivgespür.«
Antonia hob zweifelnd die Augenbraue, doch ehe sie eine sarkastische Bemerkung fallen lassen konnte, fuhr ich fort: »Irgendwie scheint alles zusammenzuhängen. Ich sehe nur noch nicht wie.« Ich musste unbedingt herausfinden, was der vermummte Mann bei Fernando gesucht hatte.
»Ich versteh nur Bahnhof! Dieser Schnüffler macht sich doch nur wichtig! Er klingt wie dieser übergewichtige Detektiv, der dauernd an seinem Schnauz zwirbelt und nur heiße Schokolade trinkt. Wie heißt der noch? Alle Leute, die drin vorkommen, sind alt und kommen aus England. Gähn! Ach, wie heißt der bloß noch mal? Am Ende löst er den Fall immer ganz allein und hat sich vorher zwei Stunden lang kaum bewegt.«
»Antonia, halt doch mal nur für eine Minute die Klappe!« Pilar fuhr sich genervt durchs Haar.
»Aber …«
»Por favor!«
»Ich muss unbedingt zu Fernando«, wandte ich mich an Pilar.
»Ich weiß nicht. Im Spital sind die ziemlich streng, was Besucher angeht.«
»Mein Bruder liegt im Koma, Mann. Da geht man nicht einfach schnell mal hin wie in einen Vergnügungspark oder so.«
»Dann müssen Sie in den Kleidern, die Fernando an dem Abend getragen hat, nachschauen, ob Sie etwas Ungewöhnliches finden.«
Pilar zögerte. »Die Kleider, die er am Samstag getragen hat? Die habe ich längst gewaschen und ihm neue gebracht, falls er … Im Moment braucht er ja keine.«
»Gewaschen?« Mir stockte der Atem.
»Sie waren voller Blut!«
»Fiel Ihnen etwas Abnormales auf? War etwas in seinen Taschen?«
Zögernd schüttelte sie den Kopf.
»Ein Brief, eine CD? Ein USB-Stick?«
Sie verneinte. »Das hätte ich bemerkt, ich hab die Sachen danach gebügelt. Selbst seine Jacke.«
»Ein Mikrofilm vielleicht?«
Pilar sah mich verwirrt an.
Ich biss mir auf die Lippen und winkte ab. Es war einem nicht nur zuträglich, wenn man sich als Kind alle James-Bond-Filme mehrmals angeguckt hatte.
»Ist Ihnen vor dem Überfall etwas aufgefallen? Benahm er sich merkwürdig?«
»Am Samstagabend habe ich gearbeitet. An den Tagen zuvor wirkte er wie immer. Er ist ein hitziger Junge, der schon früh lernen musste, Verantwortung zu tragen.«
»Manchmal führt er sich auf, als wäre er mein Vater!«
»Kannst du wirklich keinen einzigen Moment still sein, Antonia?« Pilar wandte sich wieder mir zu. »Er macht sich Sorgen um sie und meint es nur gut. Er will sie beschützen, weil sie seine kleine Schwester ist. Schließlich ist er schon lange der einzige Mann im Haus.«
»Ha, Mann!«
»Antonia, etwas mehr Respekt deinem Bruder gegenüber, bitte!«
Antonia verzog den Mund und mahlte geräuschvoll auf ihrem Kaugummi weiter.
»Wo haben Sie am Samstag gearbeitet?« Fragend sah ich Pilar an.
»In einer Bar«, erwiderte sie mit fester Stimme. »An der Theke.«
Ich lächelte über ihre präzise Antwort, worauf sich ihre Gesichtszüge ebenfalls entspannten. »Wie komme ich an Rosie heran?«
Pilar zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wo sie untergekommen ist.«
»Sie sind ihr nie gefolgt?«
»Wieso sollte ich? Wenn sie nicht sagen will, wo sie sich aufhält, ist das ihr gutes Recht. Außerdem habe ich
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