Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
verbringen.
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Das stetige Plätschern der Wellen gegen den Schiffsrumpf erweckte gleichermaßen Erleichterung als auch Unbehagen in Dana. Argus hatte sie am Morgen tatsächlich zu einem alten Kutter geführt und sie mit an Bord gehen lassen. Dana hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass der Alte sein Versprechen jemals einlösen würde. Er war ausgesprochen wortkarg an diesem Morgen, er hatte Dana nicht einmal danach gefragt, weshalb sie die ganze Nacht in der kalten Scheune verbracht hatte. Schweigend waren sie zum Hafen hinunter gegangen, Dana trug noch immer das mintgrüne Kleid, das schon vor Jahrzehnten aus der Mode gekommen war. Immerhin war es sauberer als ihre eigene Kleidung.
Dana saß an Deck des Kutters und beobachtete, wie sich die Küste von Haven immer weiter von ihnen entfernte. Das Segel blähte sich im Wind, sie kamen schnell voran. Das Meer war noch immer aufgewühlt, Dana musste sich an der Reling festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Werden sie das Boot kontrollieren, wenn wir anlegen?«, fragte Dana. Sie musste laut rufen, da der Wind ihre Worte sonst verschluckt hätte.
Argus schüttelte vehement den Kopf. »Ich habe Papiere für dieses Boot. Man kennt mich dort. Sie haben mich noch nie kontrolliert.«
Plötzlich überfiel Dana das Gefühl, dass Argus ihr nicht die Wahrheit gesagt haben könnte. Wollte er sie absichtlich in eine Falle laufen lassen? Sie schüttelte ihre düsteren Gedanken ab. Es konnte nicht im Sinne des Fischers sein, sich selbst in Gefahr zu bringen. Sie musste jetzt ruhig bleiben und die Situation auf sich zukommen lassen.
Je näher sie der Küste von Falcon’s Eye kamen, desto größer und übermächtiger wurde Danas Nervosität. Die Häuser, die sich entlang des Ufers nebeneinander aufreihten, waren reich verziert und in den schönsten Farben gestrichen. Hinter ihnen ragte eine Stadtmauer auf, und in der Ferne thronte ein hoher weißer Obelisk auf einem bewaldeten Hügel über der Insel. Es war wie eine Welt aus einem Märchen.
Schon von weitem sah Dana die Männer in Uniform, die über die Anlegestege patrouillierten. Dana warf Argus einen ängstlichen Blick von der Seite zu, doch dieser steuerte weiterhin unbeirrt auf den Steg zu. Dana duckte sich hinter die Kajüte.
»Argus, da sind Soldaten«, flüsterte sie. Ihre Augen waren vor Panik geweitet, die Knie zitterten.
Argus reagierte nicht. Er pfiff ein Lied, warf das Tau über einen Poller und zog das Boot heran.
»Bleib hier sitzen«, knurrte Argus, als er an Land stieg. Dana hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Er unterhielt sich mit einem der Soldaten. Vorsichtig lugte Dana über die Reling. Nur wenige Yards entfernt standen Argus und zwei weitere Männer. Einer der Soldaten schlug dem alten Fischer freundschaftlich auf die Schulter. Dana bemerkte, wie sein Blick über das Boot glitt, als suche er nach etwas Verdächtigem.
Danas Herz hämmerte gegen ihre Brust. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass etwas nicht stimmte. Vorsichtig schlich sie um die Kajüte herum, bis sie sich auf der den Männern abgewandten Seite befand. Noch immer hörte sie ihre Stimmen. Einer der Männer lachte. Mit zittrigen Händen umfasste Dana das Geländer und schwang ein Bein darüber, ihr wallendes Kleid behinderte sie dabei. Nur Sekunden später hatte sie auch das andere Bein nachgezogen. Ihre Fußspitzen fanden Halt auf der oberen Kante des Kutters, unter ihr plätscherte das Meer. Zentimeter für Zentimeter kämpfte sie sich seitwärts zum Bug voran. Jetzt konnte sie die drei Männer deutlich sehen, und diese hätten Dana ebenfalls sehen können, wenn sie ihr nicht den Rücken zugewandt hätten.
Dana nahm all ihren Mut zusammen und schluckte ihre Ängste hinunter. Sie bückte sich und bekam das Tau zu fassen, mit welchem Argus das Boot am Steg befestigt hatte. Das rettende Ufer war nur noch eine Armlänge entfernt. Vorsichtig nahm Dana einen Fuß hoch und versuchte, mit den Zehen den Steg zu erreichen. Sie rutschte ab, er war zu weit entfernt. Mit einer Hand das Tau, mit der anderen noch immer die Reling umklammert, konnte Dana sich keinen Zentimeter weiter bewegen, ohne ins Wasser zu fallen. Auf diese Weise würde sie sich nicht an Land retten können. Entweder sie wagte jetzt den Sprung, oder sie fiel ins Wasser. Oder, was in ihren Augen die schlimmste Option war, sie würde entdeckt.
Noch einmal blickte sie zu den Männern hinüber. Es machte den Anschein, als wollten sie sich
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