Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
seiner Worte schien Jil beinahe zu erdrücken. Sie fasste einen Entschluss und erhob sich von der Mauer.
»Firio, ich muss jetzt gehen. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Aber dass du mir nicht wieder so lange mit deinem nächsten Besuch wartest.«
Jil schüttelte den Kopf und grinste ihn an. »Nein, ganz bestimmt nicht.«
Als sie sich auf den Weg in den Stadtpark machte, dachte sie darüber nach, ob Firio wohl jemals Opfer einer Gehirnwäsche der Sedharym geworden war. Selbst wenn es so war, es hatte ihm scheinbar nicht geschadet. Die Sedharym wollten nichts als ihren Frieden. Eindeutig schlimmer war es doch, so wie die Vartyden vor den Augen der Menschen ein Blutbad zu veranstalten. Ray musste unter mächtigem Irrsinn und verzerrter Wahrnehmung leiden, wie vermutlich auch der Rest seines Ordens. Doch dies war nicht Jils Krieg. Selbst wenn einer ihrer Vorfahren tatsächlich einer mächtigen Magierfamilie der Sedharym entstammte, lag es dennoch nicht in ihrer Macht, dieses Volk von seiner Marter zu befreien. Sie war gescheitert, obwohl sie ihrem Ziel so nahe gekommen war. Sie musste mit Cryson darüber reden, zumindest das blieb sie ihm schuldig. Sie musste ihm gestehen, dass diese Aufgabe doch eine Nummer zu groß war für eine einfache Taschendiebin war. Ob er sie trotzdem noch bei sich aufnehmen würde? Firios Worte lagen ihr noch immer schwer im Magen. Man durfte sich für einen anderen Menschen nicht selbst aufgeben. Das bedeutete für Jil, dass sie nicht zu ihrer Familie zurückkehren würde. Gleichzeitig bedeutete dies aber auch, dass sie nicht länger bereit sein würde, ihr Leben für die Sedharym aufs Spiel zu setzen.
Während sie noch ihren Gedanken nachhing, erreichte Jil den Stadtpark. Hoffentlich war das Tor noch nicht verschlossen. Jil stand nicht der Sinn danach, den ganzen Weg bis nach Breagan zurücklegen zu müssen, denn neben jenem Zugang zum Unterreich im Stadtpark war dies der Einzige, der Jil sonst noch bekannt war. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie die Stelle erreichte, an welcher das grausame Gemetzel stattgefunden hatte. Mittlerweile hatte die Polizei das Gebiet wieder freigegeben, auch war kein Blut mehr im Rinnstein zu sehen. Die Leiche war längst fortgeschafft worden. Nichts wies darauf hin, dass hier ein schreckliches Verbrechen stattgefunden hatte.
Jil betätigte die eiserne Klinke des Tors. Es war noch geöffnet. Lautlos schlüpfte sie hinein und huschte abseits der befestigten Wege durch Bäume und Büsche. Mit jedem Schritt wuchs das ungute Gefühl in ihr weiter. Mit einem Mal war sie sich nicht mehr sicher, ob die Sedharym sie ungestraft davonkommen lassen würden. Unter keinen Umständen wollte Jil vom Regen in die Traufe geraten und sich erneut in Gefangenschaft begeben. War ihre Selbstsucht und die Gier nach Crysons Reichtum wirklich schon so groß, dass sie sich dafür in Gefahr begeben würde? Vielleicht würde ihr niemand öffnen, wenn sie an die Tür klopfte. Sie hätte einen Brief hinterlassen können, in dem sie den Sedharym von ihrer gescheiterten Mission und ihrem Entschluss, die Angelegenheit fallen zu lassen, berichten konnte. Doch selbst wenn sie Stift und Papier gehabt hätte, Jil konnte weder lesen noch schreiben.
Ich lasse es auf mich zukommen. Wenn alles verloren sein sollte, kann ich immer noch zu Dana und meinem Vater zurückkehren .
Sie hatte diesen Gedanken noch nicht ausformuliert, als sie etwas ganz anderes als eine ungewisse Zukunft auf sich zukommen sah…
*****
Argus hatte sein Versprechen nicht gehalten. Er hatte am Morgen nur missmutig aus dem Fenster gesehen und gemeint, das Wetter sei für eine Überfahrt ungünstig. Er wolle es nicht riskieren, dass sein kleiner Kutter beschädigt würde. Obwohl das Wetter offensichtlich nicht schlecht und die See relativ ruhig war, hatte Dana ihn nicht vom Gegenteil überzeugen können. Die Enttäuschung steckte wie ein giftiger Pfeil in ihrem Herzen.
Ein weiterer Tag war ungenutzt an ihr vorübergezogen, nun war es erneut Abend. Argus hatte ein widerliches breiiges Abendessen zubereitet, das nach Fisch schmeckte.
Bleibt nur zu hoffen, dass Argus auch heute Nacht zu müde und zu klapprig ist, um sich an mir zu vergehen, dachte Dana und würgte einen weiteren Löffel voll Fischbrei hinunter. Sie hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber tatsächlich schien Argus’ Manneskraft ihn schon vor Jahren verlassen zu haben. Er hatte lediglich von ihr verlangt, ein schrecklich
Weitere Kostenlose Bücher