Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Leichtigkeit, die jedoch schnell über bloße Leichtigkeit hinausging, so, als würde sie von der Erde selbst abgestoßen. Diesen magischen Sog hatte sie schon einmal gespürt, als die lichtgeborenen Magier einen Sturm heraufbeschworen hatten, um den Brand in der Flussmark zu löschen. Die Magie – lichtgeborene Magie – strahlte aus der Ruine des Magiertempels heraus und riss sie beinahe mit sich. Diese geballte Ladung Magie zersprengte die dritte Granatensalve im Flug und stürzte sich auf die Geschütze am anderen Ufer. Bevor die Magie in die Stapel der Kisten mit Granaten und Zündern einschlug, nahm Telmaine noch flüchtig die Lebensenergien der Männer an den Geschützen wahr. Eine letzte, gewaltige Erschütterung donnerte über die Stadt hinweg, als die gesamte Geschützanlage explodierte und dabei die Männer und den halben Hügel in die Luft sprengte.
Langsam kam Telmaine wieder zu sich. Ishmaels Erinnerungen erzählten ihr von diesem Gefühl, davon, magisch und körperlich dermaßen erschöpft zu sein, dass selbst das Atmen zu anstrengend schien. Sie schmeckte Blut, weil sie sich auf die Zunge gebissen hatte, und lag rücklings auf der unebenen Steintreppe. Sie schluckte Blut und wandte den Kopf zur Seite, traute sich nicht, Luft zu holen, aus panischer Angst, sie könne den Gestank von Rauch und verbranntem Fleisch einatmen.
Als Telmaine mit der Wange den Stoff eines Rocks berührte, der sich über den Stufen ausbreitete, schnappte sie nach Luft und atmete den muffigen Gestank der Abwässer ein, in unendlicher Dankbarkeit. Der Rock gehörte zu Merivan, die über ihr auf einer Stufe saß, sich den Bauch hielt und angewidert das Gesicht verzog. Auf der anderen Seite hockte Kingsley, stützte sich mit dem Rücken an der rauen Mauer ab. Er peilte sie mit einem seltsam verstörten Ausdruck auf dem Gesicht. »Tut mir leid, Prinzessin. Ich hätte Sie davor warnen sollen, wie leicht man hier ausrutschen kann«, sagte er. Eine recht banale Erklärung für ihren Zusammenbruch; hatte er etwa eine Vorstellung davon, was mit ihr geschehen war?
»Und warum genau«, sagte Merivan und schluckte, »haben Sie uns hierher gebracht?«
Ganz langsam richtete er seine Aufmerksamkeit von Telmaine auf Merivan. »Der Turm der Lichtgeborenen wurde bombardiert.«
Aber das hätte doch zum Sonnenuntergang passieren sollen, und nicht zum Sonnenaufgang , kam es Telmaine in den Sinn. Niemand reagierte; sie hatte nicht laut gesprochen. Ihr Bewusstsein hielt sich noch immer in der Schwebe – der Geist losgelöst vom Körper, die Gedanken losgelöst von den Gefühlen. Deshalb, so wurde ihr plötzlich klar, hatten sie die Ausgangssperre verhängt: Bevor der Angriff erfolgte, sorgten die Herzöge Mycene und Kalamay für freie Straßen.
»Woher wollen Sie das denn wissen?«, fragte Merivan.
»Hab zufällig einen Streit zwischen Fürst V. und Blondell mitbekommen. Konnte mir keinen Reim darauf machen, was ich da gehört hatte, bis jetzt.« Er ließ seine Hände zwischen den Knien hängen, hielt die Finger gespreizt – seine Haut brannte gewiss wesentlich schmerzhafter als Telmaines, nachdem er sie alle in Sicherheit gebracht hatte und dem Licht somit am längsten ausgesetzt war. »Fürst V. hat davon gewusst, davon bin ich überzeugt. Das war es, was Blondell mit Hochverrat gemeint hat.«
»Er hätte es eigentlich verhindern sollen«, hörte Telmaine sich sagen.
Ultraschall peitschte ihr ins Gesicht. » Bitte was? «, rief Merivan, und Kingsley entgegnete nüchtern: »Hat er aber nicht.«
Telmaine stützte sich mit ihrem Ellbogen auf Merivans Rocksaum ab und drückte ihren Oberkörper vorsichtig von den feuchten Stufen hoch. »Er würde doch nicht … « Würde er wirklich nicht? Immerhin hatte er den Magiertempel als Bedrohung angesehen und Kalamay und Mycene ebenfalls. Die beiden Bedrohungen aufeinander anzusetzen, damit sie sich gegenseitig zerstörten, war das der Plan? Vladimer hatte behauptet, er verstünde die Bedrohung, die von Magie ausging, aber konnte er das denn? Konnte überhaupt irgendjemand wirklich und wahrhaftig begreifen, was lichtgeborene Macht bedeutete, wenn dieser Jemand nicht das gespürt hatte, was sie gespürt hatte – in dem magischen Sturm, der den Flussmark-Brand löschte, und in dem fürchterlichen Getöse der Magie, mit dem gerade eine ganze Geschützbatterie gesprengt worden war?
Aber konnte denn irgendjemand, der den Donner dieser Waffen nicht gehört hatte, die Macht von Schwarzpulver und Eisen
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