Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
Wolken zerteilen sich.«
Im Westen tauchten zwischen den dahinjagenden Wolkenfetzen Spuren von Blau am Himmel auf; aus dem Regen war ein feines Nieseln geworden und auch das hörte jetzt auf. Sie gingen weiter bergab, vorbei an dem kleinen weißen Gehöft, das massiv wie eine Feste gebaut war, um den Winterstürmen zu trotzen, und weiter durch Pforten und über die scheppernden Rohre eines Viehrostes, der die umherwandernden schwarzen walisischen Rinder in ihren Grenzen halten sollte. Das Glückliche Tal breitete sich wieder vor ihnen aus; die letzten Nebelfetzen wehten an den Bergen an der anderen Seite vorbei fort. Hin und wieder drang ein Sonnenstrahl durch die Wolken und es wurde wärmer. Sie öffneten ihre Regenbekleidung und schüttelten Jacken und Mäntel aus. Wie um endgültig zu beweisen, dass der Regen vorüber war, brummte ein kleines Auto an ihnen vorbei den Hügel hinauf und brachte die Ersten eines neuen Besucherstromes. Sie würden durch Schafkot und zwischen Kaninchenlöchern über die Hänge marschieren, Federn sammeln und die Büschel grauweißer Wolle, die die Schafe an Stacheldrahtzäunen hängen ließen, und kleine, raue Steine aus weißem Quarz. Will gab sich Mühe, daran zu denken, dass er nicht das mindeste Recht hatte, es diesen Leuten übel zu nehmen, wenn sie durch Farn und Heidekraut wanderten, durch Stechginsterbüschel und Glockenblumen, und ihre Kippen auf das kurze, harte Gras warfen.
In der Ferne schrien Möwen. Als der Weg um einen Hügel führte, sahen sie plötzlich das Meer vor sich und die breite Mündung des Dyfi mit dem silbernen Band des Flusses, das sich durch schimmernde Flächen goldenen Ebbesandes wand.
Sie blieben alle stehen, um zu schauen. Sonnenstrahlen kamen zwischen den Wolken hervor und glitzerten auf dem Fluss und schillerten auf der Sandbank, die der Mündung vorgelagert war.
»Ich habe Hunger«, sagte Barney.
»Das ist eine gute Idee«, erwiderte Simon. »Wollen wir essen?« Bran sagte: »Aber wir brauchen ein paar Felsen, auf denen wir sitzen können — versuchen wir es hier oben.«
Sie kletterten die Böschung am Rand des Weges hinauf und kamen auf das nicht umzäunte Weideland, wo Vieh graste. Mehrere große schwarze Ochsen wichen ihnen gemächlich und vorwurfsvoll aus. Kurze Zeit später waren sie über den Kamm einer kleinen Hügelkette geklettert. Der Weg hinter ihnen war jetzt nicht mehr zu sehen und unter ihnen breiteten sich das Meer und die Flussmündung aus. Sie ließen sich auf schiefrigen Felsenbrocken nieder und stürzten sich auf ihre belegten Brote. Das nasse Gras roch sauber und irgendwo sang eine Feldlerche ihr jubelndes Lied. Hoch über ihnen schwebte ein kleiner Falke.
Jane blickte hinaus über das Mündungsgebiet, während sie kaute. »Was für eine gewaltige Fläche ebenen Landes sich am anderen Ufer ausbreitet. Meilen, Meilen über Meilen, bevor die Berge wieder anfangen.«
»Cors Fochno«,
sagte Bran, dessen weißes Haar in der Sonne trocknete und sich aufbauschte. »Das meiste ist Sumpf — siehst du die schnurgeraden Entwässerungskanäle? Es gibt dort ein paar sehr interessante Pflanzen, falls du dich für Botanik interessierst. Was ich nicht tue ... Und alte Sachen hat man dort gefunden, einmal einen goldenen Gürtel mit Dornen und eine goldene Halskette und zweiunddreißig Goldmünzen, die sich jetzt im Nationalmuseum befinden. Und draußen, in der Nähe der Dünen, stecken die Stümpfe von ertrunkenen Bäumen im Sand. Einige auch auf dieser Seite des Flusses auf den Stränden zwischen Aberdyfi und Tywyn.«
»Ertrunkene Bäume?«, fragte Simon.
»Ja, das gibt's«, sagte Bran. Er kicherte. »Zweifellos von den Ertrunkenen Hundert.«
Barney fragte verblüfft: »Was ist denn das nun wieder?«
»Habt ihr die alte Geschichte noch nicht gehört? Über die Glocken von Aberdyfi, die in Sommernächten draußen auf See gespenstisch läuten, dort drüben?« Die hellen Augen wieder hinter der Sonnenbrille versteckt, erhob Bran sich und zeigte hinaus auf die Stelle, wo der Fluss sich ins Meer ergoss, alles im Sonnenlicht jetzt, wo der Himmel große blaue Flächen zeigte. »Dort soll einmal
Cantr'er Gwaelod
gewesen sein, das Flachland Hundert, das schöne und fruchtbare Land des Königs Gwyddno Garanhir, vor Jahrhunderten. Das einzige Problem war, dass das Land mit Deichen vor dem Seewasser geschützt werden musste, weil es so flach war. Eines Nachts gab es einen schrecklichen Sturm, der Deich brach und das Wasser überflutete das
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