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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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wurde) sei dauerhaft und nicht nur aufgrund ungünstiger Umstände verschieden.
    Bis Cohen ihn wiederentdeckte – ihn rettete und im großen Ballsaal des Hauses aufstellte, das aus den Überresten der Rue de Poids de l’Huile gebaut worden war, damit Lis Unterbewusstsein seinen breiten Schultern all ihre Ängste aufbürden konnte.
    Der Türke spielte gerade dieselbe Eröffnung, mit der er Napoleon während der blutigen Kampagne von Wagram in nur vierundzwanzig Zügen matt gesetzt hatte. Er schob die
Spielfiguren mit einem langen Stab übers Brett, und sein mechanischer Arm surrte und klapperte, während seine alten Zahnräder ineinandergriffen und sich aneinander rieben und quietschten. Cohen nahm es mit einem Bruchteil seines gegenwärtigen integrierten Bewusstseins zur Kenntnis. Viel mehr aber nahm ihn in Anspruch, wie sehr dieser Anblick Li erschütterte und entsetzte.
    Und als er zum üppig bemäntelten Torso des Türken aufblickte und den Kopf unter dem Turban betrachtete, begriff er auch, warum. Er kannte das Gesicht um diese toten, gläsernen Augen. Es war sein Gesicht … Rolands Gesicht …
     
    »Cohen!«
    Li sah auf ihn herunter, die Lippen geschürzt, die Wölbung ihrer Stirn von feinen, parallelen Falten durchzogen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie in einem lockeren, gewollt neutralen Ton, der ihm verriet, wie schlimm er aussehen musste.
    Er rang sich ein Lächeln ab und spürte das Jucken von Rolands Haut in einer jener neuralen Rückkopplungsschleifen, die er schon seit Langem nicht mehr zurückverfolgt hatte durch das gewaltige Labyrinth von gepatchtem, umgeschriebenem und erweitertem Sourcecode, aus dem seine Overlay-Subroutinen bestanden.
    »Du hast mir einen Albtraum verpasst«, sagte er zu Li.
    »Ich habe keine Albträume.«
    »Vielleicht hast du doch welche und erinnerst dich nur nicht daran.«
    In der Nähe wurde ein Schofar geblasen. Ein einsamer Musiker übte für das Rosch ha-Schana.
    »Was ist das?«, fragte Li.
    »Der Schofar . Ein Widderhorn für zeremonielle Zwecke. Man bläst es während der Yamim Noraim , der Hohen Heiligen Tage. Das ist die Zeit, in der jeder Jude angehalten ist, seine Taten im vergangenen Jahr zu betrachten – im Hebräischen
nennt man es die Arithmetik der Seele – und Buße zu leisten. Man bläst den Schofar als Symbol dafür, dass das Buch des Lebens zehn Tage lang aufgeschlagen bleibt und selbst der schlimmste Sünder darin eingetragen werden kann, sofern er bis zur Abenddämmerung von Jom Kippur bereut.«
    »Ich dachte, dass nur Katholiken sündigen.«
    Er schnaubte. »Und was glaubst du, von wem ihr es gelernt habt?«
    »Hör zu«, sagte sie. »Wegen gestern tut es mir leid.« Er brauchte nicht zu fragen, welches Geschehen am gestrigen Tag ihr leid tat; die Erinnerung an den verbitterten Streit, den sie auf dem Heimweg von Didis Haus geführt hatten, war so frisch, dass beide immer noch nervös waren. »Ich hätte nicht persönlich werden dürfen. Es geht nur darum, dass ich das Gefühl habe, du lässt dich von Didi benutzen. «
    »Als ich mich zuletzt kundig gemacht habe, hast du dich vom Mossad wie ein mustergültiger Sayan benutzen lassen.«
    »Aber du lässt dich von ihnen manipulieren.«
    »Jeder lässt sich von anderen manipulieren, Catherine. So was nennt man ›Freunde haben‹.«
    »Du weißt genau, wovon ich rede.« Sie dämpfte die Stimme, wie sie es immer tat, wenn sie dieses besondere Thema nicht umgehen konnte. »Das Spiel. Didi ist kein registrierter Spieler, oder?«
    »Nein! Meinst du, das hätte ich dir nicht gesagt? Ich kann nicht glauben, dass du mir zutraust, ich würde dir so etwas verschweigen.«
    »Gut, gut. Beruhige dich. Ich dachte nur … Aber Gavi ist doch registriert, oder?«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Dass du nicht klar denkst.«
    »Du hast dich zu viel mit dem Router/Decomposer unterhalten. «

    »Nun ja, manchmal kann man sich mit ihm besser unterhalten als mit dir.«
    »Weil er deine Meinung ist.«
    »Nein. Er ist nur nicht so … widersprüchlich.«
    »Das liegt aber nur daran, dass an ihm weniger ist, was Widersprüche haben könnte.«
    »Sei nicht herablassend«, sagte sie scharf.
    »Ich bin nicht herablassend!« Cohen verstummte und zwang sich, in einem vernünftigeren Ton fortzufahren. »Das ist so lächerlich wie zu behaupten, dass man seinem großen Zeh gegenüber herablassend sein könnte.«
    »Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hatte mein großer Zeh keinen Doktor in angewandter

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