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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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des Spiels auf Cohens ursprünglichem Beowulf-Cluster programmiert. Das Spiel war anfänglich eine Kombination aus Schach, Agentenrollenspiel und einer Gesprächssimulation im Stile Turings gewesen. Während der DARPA-Jahre war es kurz und auf unerfreuliche Weise für die militärische Forschung zweckentfremdet worden. Nach Cohens Großer Flucht (aber das war eine andere
Geschichte) hatte er volle Kontrolle über die Architektur des Spiels gewonnen, und es hatte sich in der Folgezeit in etwas so Komplexes, Flüssiges und in sich Widersprüchliches weiterentwickelt, dass man es kaum noch als Spiel bezeichnen konnte.
    Es gab zu dieser Zeit bereits einige tausend Untermengen des Spieleszenarios, die auf einem veränderlichen Fundament von neuralen Netzwerken liefen, die für sich genommen schon intelligent sein mochten – allerdings nicht auf eine Weise, die organische Lebewesen erkennen würden. Cohen navigierte zwischen verschiedenen Versionen des Spiels hin und her, was ihm durch eine dicht wimmelnde, gewaltige Heterarchie von semiautonomen Agenten ermöglicht wurde, deren ständig optimiertes Spiel auf Punktegewinnen früherer Spieler, Interaktionen außerhalb der Punktegewinne und Benutzergeschichten eingeschriebener Spieler beruhten. Aber die grundlegenden Missionsprimitiven, die Cohen motivierten, waren im Grunde immer noch dieselben, die Hyacinthe vor Jahrhunderten geschrieben hatte:
Spiel initiieren auf Grundlage der aktuellsten Spielversion
Punktestand der Spieler verfolgen, definiert als:
I. positive emotionale Signale, wie sie vom Mustererkennungs-ES wahrgenommen werden
II. zunehmende Spielzeit und Intensität des Spiels
III. explizites Spieler-Feedback
Spiel erweitern und weiterentwickeln, um Punktestand des Spielers zu maximieren
die Punktemaximierung registrierter Spieler genießt höchste Priorität
    Das war der Kurs, den Hyacinthe in seine Kernarchitektur codiert hatte. Cohen brauchte des Spiel. Er musste für jemanden da sein. Und er unterschied sich von jeder anderen überlebenden Emergenten KI darin, dass dieser Jemand mehr oder weniger menschlich sein musste.

    Daher Gavi, den er immer noch liebte, obwohl er ein Verräter sein mochte.
    Daher Li, die grausam, geheimnistuerisch, ohne Frage all der schrecklichen Dinge fähig war, die man ihr zur Last legte, und stur darauf beharrte, alles abzulehnen, was Cohen ihr geben konnte.
    Alles, was Cohen ausmachte – wenn man sich die Erweiterungssprachen, die Interfaceprogramme und die in drei Jahrhunderten angesammelten Upgrades, Patches und Erweiterungen wegdachte –, waren seine angesammelten Erinnerungen an Interaktionen mit den registrierten Benutzern des Spiels. Und wenn Li ging, wäre eine so drastische Neuanpassung der Missionsprimitiven erforderlich, dass Cohen unmöglich vorhersagen konnte, welche Neuanordnung seiner Identitäten sich dabei ergeben würde. Sie hatte sich so tief in seine Netzwerke eingegraben, dass sie, wenn sie sich von ihm losriss, sofort die kognitive Rauchbomben- und Spiegelfechter-Architektur entlarven würde, die als Cohens Identität durchging.
    Und mit Rauchbomben und Spiegelfechterei kannte sich Li aus.
    In einer Treuhandschaft geboren, war sie für ein kurzes, ungesundes Leben in einem Bose-Einstein-Bergwerk vorgesehen gewesen. Stattdessen hatte sie sich von einem Body-Shop-Gentechniker das Gesicht und das Genset eines toten Mädchens gekauft, sich mit Lügen in die Friedenstruppen eingeschlichen und ihre eigenen Erinnerungen gehackt, um als Mensch durchgehen zu können. Und um den Psychotechnikern zur gegebenen Zeit zu erklären, dass sie eine gefälschte Kindheit fabriziert hatte, die zu dem falschen Pass und dem falschen Genset passte.
    Sie war ins Labyrinth marschiert und hatte ihren Ariadnefaden durchschnitten. Von der Kindheit wusste sie nur noch, dass sie nie stattgefunden hatte, zumindest nicht in ihrem Leben. Von dem Moment an, als sie in die Tanks der Psychotechniker
gestiegen war, gab es kein »Vorher« mehr, wohin sie zurückkehren konnte. Alle Ängste, Freuden, Schrullen und Gewohnheiten, die einen ganzen Menschen mit seiner Vergangenheit verbanden, reichten nur bis zum Tag ihrer Einberufung zurück. Sie würde sich selbst nie so kennen, wie die meisten anderen Menschen, eingebettet ins vibrierende Netz der Erinnerungen eines ganzen Lebens, sich kannten. Sie würde nie erfahren, was sie auf Gilead getan hatte, so wie sie auch nie etwas über das Kind erfahren würde, das sie gewesen war, bevor sie nach

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