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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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echt. Und obwohl es nicht ganz der Geruch der irdischen Wüsten war, wie Cohen ihn kannte, kam er ihm doch so nahe, das er jeden täuschen konnte, der nicht selbst dort gelebt hatte.
    Eine scharfe Messerschneide aus Sonnenlicht drang durch eine Jalousie am Ende des Korridors. Li trat ans Fenster, öffnete es und sah über ein strahlend helles Stadtpanorama hinaus, das die berühmtesten kleinen und großen Sehenswürdigkeiten des alten Jerusalem umfasste. Für einen kurzen Moment fragte sich Cohen, warum ihre Implantate nicht das Traumbild aufgriffen und eine aktuelle und faktisch präzise Ansicht der Stadt lieferten. Es war technisch sicher möglich. Gab es irgendein Patch oder eine Speicherextraktion, die verhinderte, dass ihr Festspeicher von Traumbildern aktiviert wurde? Oder lag es in der Natur des Traums, dass er für Maschinen unsichtbar war, solang die Maschinen nicht wussten, zumindest im Halbdunkel geborgter Erinnerungen, was es bedeutete, wenn jemand träumte?
    Schließlich wandte sie sich vom Fenster ab, und auf einmal waren sie an dem Ort, mit dem Cohen in diesem besonderen Traum am allerwenigsten gerechnet hatte. Zu Hause. In seinem Zuhause in einer der KI-Enklaven im Orbitalring. Seit drei Jahren auch ihr Zuhause.
    Sie befanden sich im Großen Ballsaal. Wie der Rest des Hauses war er Stein für Stein, Diele für Diele, Marmorplatte für Marmorplatte aus dem Material der Rue du Poids de l’Huile in Toulouse gebaut worden. Im Chaos der Evakuierung waren viele schöne Dinge verloren gegangen, und auch Cohen konnte nur einen Bruchteil davon retten. Aber immerhin hatte er das Haus gerettet, in dem Hyacinthe aufgewachsen war. Und obwohl ihn die Touristen ein wenig nervten, bereitete es ihm echtes Vergnügen zu wissen, dass Leute aus weit entfernten Zonen des Orbitalrings anreisten, um die prachtvolle Fassade aus dem 18. Jahrhundert, die Renaissancetreppe
und die römischen Ziegel zu betrachten, die zum blassen Rosa eines sommerlichen Sonnenuntergangs verwittert waren, und sich dabei an die ville rose und den Glanz seiner geliebten, verlorenen Gascogne zu erinnern. Bälle waren schon vor der Geburt des ursprünglichen Hyacinthe aus der Mode geraten, und in dem Ballsaal war heute Cohens Automatensammlung untergebracht.
    Im gebrochenen Sonnenlicht, das durch das gewellte alte Glas drang wie Wasser, das Felsen umspülte, schritt Li durch den langen Flur. Ihr Blick streifte das polierte Elfenbein von Napiers Abakus, den abgegriffenen Umschlag einer Hollerith-Karte von der Volkszählung 1890, die kastenförmige Steuerkonsole eines der wenigen noch erhaltenen und unbezahlbaren Altair-8800-Computer.
    Nicht zum ersten Mal fragte sich Cohen, wie es für Li war, in einer Nachbarschaft zu leben, in der die einzigen organischen Lebensformen teure, reinrassige Haustiere und die ästhetisch makellosen, jugendlichen Mietkörper waren, die menschlichere KIs für die Abwicklung ihrer unvermeidlichen Geschäftskontakte mit organischen Lebewesen bevorzugten. Er hatte immer gewusst, dass sie dabei irgendetwas fühlen musste, in jenem schattigen Bereich ihrer Psyche, der sich immer knapp seinem Zugriff entzog. Jetzt aber, in ihrem ungeschützten Traumzustand, erlebte er diese Gefühle so intensiv, als seien sie seine eigenen.
    Furcht. Zuneigung. Verwirrung. Machtlosigkeit. Aber warum? Sie war keine Gefangene. Und er war sicher nicht ihr Gefängniswärter. Er war doch sicher nicht dafür verantwortlich?
    Das Ticken wurde jetzt lauter, sehr viel lauter als zu Beginn des Traums. Cohen fühlte sich wie ein Staubkorn, das in eine riesige Taschenuhr geraten war.
    Worauf warten sie? , fragte Li. Schockiert erkannte Cohen, dass mit denen , die Li solche Angst machten, er selbst gemeint war. Und plötzlich wusste er – weil er vorher in ihren
Träumen denselben Schrecken empfunden hatte –, wohin sie ihn führte.
    Der Automatische Schachspieler war der berühmteste je gebaute Automat und ganz sicher einer der berühmtesten wissenschaftlichen Schwindel, die man je einer leichtgläubigen Öffentlichkeit präsentiert hatte. Wegen des spektakulären Gewandes und Turbans als Von Kempelens Türke bekannt (niemand hatte Von Kempelen jemals einen guten Geschmack vorwerfen können), war der Schachspieler an allen europäischen Höfen vorgeführt worden und schnell zum Stoff von Legenden geworden. Zahllose Gerüchte behaupteten, dass der Türke von einem Dämon gesteuert wurde. Schaulustige bekreuzigten sich, wenn sie in seine Nähe kamen. Damen

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