Lichtjagd
ganz auf das Geschehen einzulassen, in einem Zustand, der einer schaudernden Unentschlossenheit gleichgekommen wäre, wenn er noch Bandbreite frei gehabt hätte, um den von langem Leiden ausgezehrten Körper des armen Roland zittern zu lassen.
Aber während Cohen zögerte, hob Yusuf erneut seine Waffe mit der Routine, die er sich am Schießstand angeeignet hatte, fuhr mit seinem schlanken Körper herum und erschoss Turner.
Turners Leibwächter griff nach seiner Waffe, aber Osnat jagte ihm eine Kugel durch den Kopf, bevor er sie auch nur aus dem Halfter ziehen konnte. Und plötzlich setzten sich die Ender in Bewegung. Alle setzten sich in Bewegung.
Nur die beiden Männer verharrten reglos im Auge des Sturms und starrten einander an.
Nein, korrigierte sich Cohen. Nicht zwei Männer. Ein Mann und ein Junge.
Und dann sah er es. Diesen Zug um den Mund, der einem nur auffiel, wenn man wusste, wonach man suchte, und den man nicht mehr übersehen konnte, wenn man ihn einmal bemerkt hatte. Und diese ungewöhnlichen grünen Augen, die mit Gavis grünen Augen nichts gemein hatten – aber stark an die Augen einer Frau erinnerten, bei deren Hochzeit Cohen, Didi Halevy und Walid Safik vor zwanzig Jahren getanzt hatten.
Yusuf blickte auf die Waffe in seiner Hand und blinzelte, als hätte er sich gerade daran erinnert.
»Ich sollte besser gehen«, sagte er. »Unsere Ender werden Arkady über die Grüne Grenze bringen. Korchow wird auf der anderen Seite auf ihn warten.«
Er zog sich zum Tor zurück und hielt inne, um einen letzten Blick auf den Hof zu werfen. Es hatte wieder zu schneien angefangen; ein feiner weißer Schleier verhüllte den kahlen Kopf des Jungen und funkelte in seinen Augenwimpern.
»Joseph«, sagte Gavi.
Yusufs und Gavis Blicke trafen sich.
»Sag deinem Vater …«
»Was?«
»Nichts. Sag ihm einfach danke.«
Yusuf lächelte. »Betrachte es als ein Geschenk von Absalom. «
Er trat auf die winddurchfegte Straße hinaus. Nach zwei Schritten war er nur noch einer von vielen anonymen Fußgängern, die unter dem wirbelnden Schnee dahineilten. Dann schwang das Tor hinter ihm zu, und er war fort.
Arkady schlüpfte hinter Arkasha in den Schatten des Hauses. Auf einmal bewegte er sich mit ruhigen und sicheren Schritten. Er hatte gesehen, wie sich Arkasha in dem Moment, als alle anderen wie betäubt Gavi und Yusuf anstarrten, in das Haus duckte, und er hatte gewusst, dass dies ihre beste und einzige Gelegenheit sein würde, miteinander zu reden. Er hatte das Gefühl, als habe er diesen Moment einstudiert, als habe er im Herzen gewusst, dass er in dem verfallenen Zimmer des alten Hauses eine Prüfung bestehen musste.
»Beeil dich!«, flüsterte Arkasha. »Wir haben keine Zeit. Es ist alles schiefgegangen. Ich kann’s nicht erklären. Zieh einfach deine Sachen aus. Wir müssen tauschen, und Korchow hat einen Plan, wie wir dich zurückbekommen, wenn sie merken, dass sie den falschen Mann haben.«
Arkady kniete sich vor Arkasha auf den staubigen Boden. Er sah jetzt erst, dass Arkashas Haar länger war als üblich und sich zu einer guten Imitation von Arkadys verwirbeltem Schopf gekräuselt hatte. Außerdem hatte er gut zehn Kilo zugelegt und war seit dem letzten Mal, als sie sich gesehen hatten, sogar ein wenig in der Sonne gewesen. Jemand hatte sich große Mühe gegeben, damit Arkasha und Arkady sich ähnlich sahen.
Er hätte lachen können. Korchow hätte ihn einfach nur zu fragen brauchen; er hätte ihm erklärt, dass kein Mensch genau genug hinsehen würde, um die leichten Unterschiede zwischen ihnen wahrzunehmen.
Aber Korchow hatte das sicher gewusst. So wie er sicher auch gewusst hatte, dass er nicht unbedingt Arkasha schicken musste – jeder andere Arkady hätte es auch getan.
Korchow hatte einen Plan.
Arkasha hatte die Hände an Arkadys Kragen und fummelte an den ungewohnten Knöpfen herum. Arkady hob eine Hand, damit Arkasha innehielt.
»Arkasha …«
»Psst. Beeil dich.«
»Hat Korchow einen Plan? Oder du? «
Arkasha brachte Arkady mit einem Kuss zum Schweigen. Seine Wange war stoppelig, aber seine Lippen waren glatt und kühl wie der Schnee draußen. »Frag nicht«, flüsterte er an Arkadys Lippen. »Solang du es nicht weißt, kannst du deswegen nicht in Schwierigkeiten kommen.«
Arkady erwiderte die Küsse, aber seine Hände und sein Herz wurden eisig kalt. »Warum?«, fragte er. »Du brauchst nur durch diese Tür zu gehen und bist frei. Du bräuchtest nie wieder eine Renormierung
Weitere Kostenlose Bücher