Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)
nichts mehr machen. Ihre Hände ruhen. Diese schmalen zuvorkommenden Hände, denke ich, die sie hinter dem Rücken hält. Das Licht in ihren Augen ist nicht das Licht ihres haarlosen Körpers, an dem sie die Prozeduren der Glättung und des Verschwindens perfektioniert hat. Ohne jede Anstrengung, ohne Kampf ist sie von innen her erleuchtet. Im Grunde ist sie, die in physischer Hinsicht Gabriela ähnelt, eine Schwester von Gabriela. Ihre Körper sind zusammengebundene Blüten. Blumen ihres Fleisches, zusammengehalten von ihren Füßen und Händen, mit denen sie alles Mögliche nicht tun. Ich berühre sie nicht, ich selbst tue nichts. Ich schreibe später am Abend, nachdem ich mit Judith das Restaurant verlassen und unsere Versöhnung gefeiert habe, in mein Notizbuch, als spräche ich ein Geständnis aus: Das ganze Universum vibrierte . Und wenn ich ihren Körper, ihre Arme und ihre Schenkel, wenn ich alles, eins nach dem anderen, zu betrachten versuche, finde ich doch immer nur wieder ein Detail, eine Stelle, die ich vorher noch nicht gesehen habe. So wie ich bei Gabriela einmal die Hautpartie links von ihrer Nase, einen Fingerbreit von ihrer Oberlippe entfernt, auf so berauschende Weise schön finde, dass sich an dieser Stelle, an diesem kleinen Fleckchen Haut augenblicklich der Wunsch entzündet, noch im selben Moment mit ihr ein Kind zu zeugen. In diesem Niemandsland zwischen Nase, Lippen und Augen. Wir vergessen Jennys Kleider. Sie liegen auf der nach oben führenden Wendeltreppe, die zu den persönlichen Räumen von Betty und Aaron führt. Die Strumpfhose liegt auf dem Geländer, und die anderen Sachen liegen zusammengefaltet daneben. Jedes Mal, wenn ich eine besonders schöne Stelle ihres Körpers sehe und zu erfassen versuche, erhebt sie sich, weitet sie sich aus und ist nur noch ein Teil, eine Schönheit nur für sich. Ihr Körper löst sich in Teilund Sonderschönheiten auf, die mir die eigentliche verhüllt, während ich sie umso mehr spüre, erahne und sie mich fast ganz ins Licht hineintaumeln lässt. Ich schreibe in mein Notizbuch: Die Linien ihres Körpers sind die Wege zu der Schönheit von Gabriela und der Liebe zu Judith . Solche Notizen fertige ich an diesem Abend in San Diego an, während Judith schon schläft. Ich sitze auf einem Sessel im Wohnzimmer nicht unweit der Stelle, wo die Iranerin gekniet hat. »Denk daran, Schatz. Wir haben eine halbe Stunde ausgemacht«, sagt sie.
4
Sie hebt den Kopf. Schönheit fällt von ihren Augen auf ihr Haar, das ihre Wangen umspielt. Sie hält ihre Brüste fest, die, wie sie sagt, »neu« sind. Ich bin fast einen Meter von ihrem Gesicht entfernt. Das Funkeln, das Strahlen ihrer Schönheit ist so vollkommen, so ergreifend und allumfassend, dass ich davon erfasst und von dieser einzigen Geste des Erblühens und Erstrahlens mitgerissen werde. Jedenfalls später, als wir den Ort wechseln und doch wieder nach oben gehen. Es war, als ob eine milchige Klarheit das Universum von innen erleuchtete. Alles schien aus ein und derselben Art durchscheinenden Fleisches geformt zu sein. Trotzdem fällt in diesem Moment alles von ihr ab, und es ist nicht mehr die Hand, die ihre Brust hält, es ist etwas anderes. Viertausend Dollar, die sie zusammengespart hat. »Du darfst nicht reinbeißen«, sagt sie in einem Ton, in dem sich Stolz, Angst und Fürsorge mischen. Sie sagt tatsächlich: »Sie sind noch neu.« Dabei ist die eine von ihnen empfindlicher als die andere, muss schonender behandelt werden, da sie, wie sie sagt, in ihr noch gar nichts spürt, sie noch fast taub ist. Später, als wir in Bettys Schlafzimmer sind und ich das Risiko erhöhe und sich das Tor zum Untergang weit öffnet, ihre dunklen, rasierten Schamlippen darauf warten, dass das Unglück vorbeikommt, wird sie auf einmal ganz sanft. »Vorsichtig«, flüstert sie, als wir in Bettys Schlafzimmer sind. Als hätte sie die Brüste für mich gemacht. »Die schönste Frau von San Diego.« Es fällt mir leicht, sie mit Komplimenten zu überhäufen, so wie ich damals Gabriela überhäuft habe, sodass Gabriela unter diesen auf sie einstürmenden Beschwörungen fast taumelt. Im Spiegel über Bettys Kommode sieht sie sich selbst dabei zu, die Hände auf die Brüste gepresst. Sie muss sie festhalten, weil sie tatsächlich fürchtet, das Bewegen der Brüste würde ihr Schmerzen verursachen. »Wie willst du das in einer halben Stunde schaffen?«, fragt sie. Gabriela sagt für gewöhnlich: »Du musst aufhören. Hör auf«,
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