Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)
Personalmanagerin, und ich kann nicht in Erfahrung bringen, ob das eine Schutzbehauptung ist oder ob sie sich wirklich einfach nur noch etwas dazuverdienen will. Sie ist auch Zahnarzthelferin, und sie sagt, sie überlege, ob sie sich noch einen dritten Job suchen soll. »Wie alt ist denn dein Auto?«, frage ich sie, als sie sich darüber beklagt, dass ihr Auto so hässlich ist und dass sie sich mittlerweile schon schämt, wenn sie irgendwo an der Ampel steht. »Ja, das würdest du wohl gerne wissen«, antwortet sie, während sie ihre Schuhe anzieht. »Aber das verrate ich nicht.« In diesem Moment bedauere ich, dass sie die Schuhe nicht auch im Bett angehabt hat. Ihre rissigen, fast elefantenartigen Fersen irritieren mich für einen Moment. Sie sagt, sie läuft immer barfuß. Ich schaue auf die beiden Palmen auf ihrem Rücken, während sie in den Spiegel schaut. Sich an ihren Brüsten festklammernd, die eine Hand auf dem Bett, die andere an ihrer Brust, stöhnt sie auf einmal. »Sei still«, sage ich. Ich sage es weniger aus Angst, dass es irgendjemand in der Nachbarschaft hört, sondern weil ich fürchte, es könnte eine Lüge sein. Etwas, das ich an diesem Tag vermeiden will. »Für wen sind denn die Pralinen?«, fragt sie, während sie mich küsst. Eine Schachtel mit belgischen Pralinen liegt auf einem kleinen Tischchen neben der Tür. Die ganze Zeit küssen wir uns, und ich frage mich, warum sie das macht oder ob das für sie ein selbstverständlicher Teil ihres Services ist. »Für meine Tante«, sage ich, »aber die ist blind.« Ich grinse sie an. Sie nickt, während sie sich ein letztes Mal an mich schmiegt und ihre halb geöffneten Lippen gegen mich presst. Sie grinst, ist merklich geschmeichelt. Die schönste Frau von San Diego. Später verlasse ich das Haus nochmal, um mit dem Taxi zum Supermarkt zu fahren und noch mehr Blumen zu kaufen. Die Gefühle der Schuld, die Gefühle der Düsternis, der Scham und Erschütterung finden keinen Ort, finden keinen Raum, sich auszubreiten. Schon auf dem Weg zum Supermarkt spüre ich auf einmal einen unglaublichen Sog, als würde ich zusammen mit dem Taxi und dem Taxifahrer ins Meer hineingezogen, das für eine Sekunde, als wir ein Stück bergab fahren, zwischen zwei Häuserreihen als schmaler dunkelblauer Streifen auftaucht. Als würde ich in dieses glitzernde Blau eingesogen werden. Ein Sog, der nichts anderes ist als das Gefühl der Sehnsucht, das sich auch nicht bannen lässt, als ich hundert Dollar für Blumen und andere Geschenke ausgebe. Das Licht strömt von der Küste auf mich ein. Das kalifornische Licht. Ein fernes unsichtbares Feuer, das mit aller Kraft hinter der nächsten Biegung brennt und ohne auch nur die geringsten Rauchspuren zu hinterlassen in den Himmel hineinfeuert. Muss ich in so einem Moment souverän erscheinen? So tun, als ginge mich das alles nichts an? Wo ist der Schalter von KLM? Warum laufe ich nicht? Ich gehe zügig, aber nicht schnell. Den ganzen Tag in San Diego. Den ganzen Tag im Licht dieser plötzlich so harmonisch ausklingenden Reise. Aber ist das die Wahrheit? Die Wahrheit dieser Reise? Ist das alles, was unsere Beziehung zu bieten hat? Wer von uns beiden hat bei alledem etwas übersehen, etwas falsch eingeschätzt? Auf dem Weg zum John-F.-Kennedy-Flughafen. Zum Port Authority Bus Terminal. Auf der Bank im Fulton Park, zwischen den Brücken, die Brooklyn und Manhattan miteinander verbinden. Ist das der entscheidende Moment? Ich schaue mich um. Der Mann im Anzug, der im Shuttle telefoniert hat, geht in meine Richtung. Das Jackett locker über die Schulter geworfen, spricht er weiter ins Telefon. Sein Gesicht ist schneeweiß, und sein Haaransatz ist wie mit dem Lineal gezogen. Wer von uns hat den entscheidenden Fehler gemacht, die Lage falsch eingeschätzt? »Ich möchte, dass du den Mund aufmachst. Komm«, sage ich zu der Iranerin. »Ja. Noch weiter … « Ich schaue aus dem Fenster. Aber es geht so nicht. Wir müssen den Ort wechseln. Wo hast du zum ersten Mal das Nachlassen der Liebe gespürt , schreibe ich in mein Notizbuch, noch in der U-Bahn, auf dem Weg zum John-F.-Kennedy-Flughafen. Auf dem Weg zum Terminal 4. Hat nicht in Wirklichkeit alles ganz woanders angefangen? An einem ganz anderen Ort. Zu einem ganz anderen Zeitpunkt? Die Sonne, das Licht erhebt sich. Es kommt vom Meer. Das Gesicht hält das Licht auf, verdeckt es, dann kommt es wieder frei. Der Taxifahrer lehnt sich zurück. Der Wagen rollt weiter, und das Licht strömt
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