Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)
in ihn hinein. Ich sitze auf der Rückbank. Ich halte die Blumen und die Geschenke im Arm. Ich blinzele, halb geblendet, halb erschöpft vor Glück.
Teil Fünf
1
»Bist du wach?«, höre ich eine Stimme. Sie kommt aus großer Entfernung, und lange Zeit kann ich sie nicht richtig einordnen und mit keinem, den ich kenne, in Verbindung bringen. »Bist du wach?« Ich schrecke hoch, dabei habe ich nicht wirklich geschlafen. Plötzlich mitten in der Nacht aufzuwachen, kann das Schlimmste sein, was einem passiert. Bei einem Flug spielt es keine Rolle. Flüge sind davon ausgenommen, sie finden in einem Zeitvakuum statt und unterscheiden nicht Tag von Nacht. Man schläft ununterbrochen, und man wacht nie auf. Es ist kein wirklicher Schlaf, sondern allenfalls ein Dämmern im maschinellen Raunen und Dröhnen, das man irgendwann gar nicht mehr bemerkt. Die Nacht ist nicht das Problem. Die Nacht wendet sich ab, in einer kurzen Drehung, bückt sich, und dann gleitet man wieder aus ihr heraus. Ich würde wahrscheinlich noch immer schlafen, wenn mich der Schnauzbärtige nicht geweckt hätte. »Mads hat mir ausgerichtet, ich soll mich um dich kümmern«, sagt er. An dem Wochenende, als ich in Queens bin. Der Strom ist ausgefallen, aber in der zum Schlafzimmer umgebauten Garage bekomme ich davon nichts mit. Das Haus ist leer. Die Eltern des Schnauzbärtigen sind beide Psychiater, praktizieren aber nicht mehr. »Bist du wach?« Ich höre es auf einmal mitten in der Nacht. Die Matratze bewegt sich, das Bett gibt leicht nach. Das eigentliche Problem ist nicht die Nacht, diese eigentümlich düstere und surreale Party, die sich im Garten abspielt, sondern das, was danach passiert, und dass ich meine Pläne ständig ändere. Das mit Holzpaneelen rundum verkleidete Zimmer hält die Hitze noch eine Weile ab. Noch am Flughafen umhüllt mich die kühle, besänftigende Luft, von der man doch weiß, dass sie unwirklich ist, als hätte sie ein Geist über einen geworfen. »Du darfst den Kreis nicht betreten«, sage ich zu Lambert, in einem Traum, den ich kurz vor meiner Abreise habe und in dem auf einmal alle Probleme, die ich mit ihm habe, gelöst sind. Ich träume, ich hätte ihn geheilt und die Therapie sei abgeschlossen und es sei alles in Ordnung. »Du darfst den Kreis nicht betreten«, sage ich zu ihm. »Das sind zirkuläre Prozesse. Kreisläufe, die dich nach unten ziehen.« Im Traum duze ich ihn auf einmal, obwohl es nicht den geringsten Anlass dafür gibt. Die cremefarbenen Holzpaneele rahmen das Schlafzimmer ein, ein komfortables Gefängnis in einem Haus, in dem erfolgreiche Psychiater wohnen, deren Sohn während ihrer Abwesenheit Sexpartys veranstaltet. Ich sage das in meinem Traum zu Lambert, ich sage es aus dem Bedürfnis heraus, ihm wirklich zu helfen. »Es hilft dir nicht weiter, wenn du deinen Vater verachtest, aber es hilft dir auch nicht weiter, wenn du ihn bewunderst.« Ich komme aus dem Konzept, obwohl es erstaunlich ist, wie geordnet und systematisch mein Traum ist. Den Kreis nicht betreten. Bestimmte Zonen, gedankliche Räume, emotionale Komplexe vermeiden. In den Gedanken materialisiert sich etwas. Das ist das Gewicht, das im Körper nach unten sackt und ihn schwer werden lässt. »Ich habe meinen Vater angerufen«, sagt Lambert im Traum. »Und?«, frage ich. »Hast du dich mit ihm versöhnt?« Es ist in der Nacht passiert. In der Nacht in Queens. Beim Einschlafen und beim Aufwachen. Die Anstrengungen, die Auseinandersetzung mit der KLM-Mitarbeiterin, die mich an eine ehemalige Klientin erinnert. Die Kraft, die ich aufbringen muss, um sie für mich einzunehmen und zu überzeugen. Ich weiß nicht, wie ich auf einen Kreis komme. Einen Kreis empfinde ich als etwas Schwieriges und Kompliziertes. »Ich habe meinem Vater versprochen, alles für mich zu behalten«, sagt Lambert im Traum. »Das bleibt unter uns, habe ich ihm gesagt. Das geht niemanden etwas an, und er weiß, dass er mir vertrauen kann.« »Das ist es, was Söhne tun«, antworte ich ihm. »Oder was sie nicht tun.« Es sind wirre Gedanken, ins Unreine gesprochen und ins Unreine geträumt. Der Schnauzbärtige leuchtet mir mit seiner Taschenlampe den Weg, während wir nach oben gehen. Die Treppenstufen, die vom Schlafzimmer zur Terrasse führen, sind mit Teppichboden ausgelegt. Ich habe keine Schuhe an, ich gehe barfuß nach oben zur Terrasse und stehe auf einmal in einem märchenhaft von Fackeln und Windlichtern erhellten Garten. Der gesamte hintere Teil ist dicht
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