Lichtjahre
dann... vor ein paar Tagen hatte ich diese Vision. Das Ende ist nicht eins dieser holzschnittartigen Skelette mit schwarzem Umhang. Das Ende ist ein dicker Mann in einem Cadillac, einer dieser Männer mit Zigarre im Mund, man sieht sie jeden Tag. Ein neues Auto, die Fenster sind hochgekurbelt. Er hat nichts zu sagen, er ist zu beschäftigt. Du fährst mit ihm. Das war's. Hinein in die Dunkelheit. Warum red ich eigentlich so viel?« fragte sie.
»Das ist der Brandy. Wir müssen los.«
Tagsüber hingegen war sie vollkommen ruhig. Ihr Leben war wie eine einzige schöne Stunde. Sein Geheimnis lag darin, daß sie nichts bereute, daß sie kein Selbstmitleid kannte. Sie fühlte sich geläutert. Die Tage wurden aus einem Steinbruch geschlagen, der nie erschöpft sein würde. Dazu kamen Bücher, Besorgungen, die Meeresküste, hin und wieder Briefe. Sie las sie langsam und sorgfältig, im Sonnenschein sitzend, als wären es Zeitungen aus Übersee.
»Sie tut mir leid«, sagte Catherine.
»Leid? Warum leid?«
»Sie ist eine unglückliche Frau.«
»Sie ist glücklicher denn je, Catherine.«
»Glaubst du?«
»Ja, weil sie von keinem Mann abhängig ist, sie ist von niemandem abhängig.«
»Ich weiß nicht, was du mit abhängig meinst. Sie hatte immer Männer.«
»Aber das heißt nicht, abhängig zu sein, oder?«
»Sie ist eine Frau, die auf das Unglück geradezu angelegt ist.«
»Findest du das nicht komisch?« sagte Peter. »Ich empfinde genau das Gegenteil.«
»Du weißt nicht viel über Frauen.«
»Ich hab neulich gesehen, wie sie Blumen arrangierte.«
»Blumen?«
»Ja. «
»Und was soll das bedeuten?«
»Nichts, außer daß ich nicht glaube, daß sie unglücklich ist.«
»Peter, ich weiß wirklich nicht, was du da gesehen hast, aber eine Frau, die ihre Familie verläßt, muß ja unglücklich werden, oder etwa nicht?«
»Na ja, Nora Helmer hat ihre Familie verlassen.«
»Ich rede vom wirklichen Leben.«
»Ich auch.«
»Was du da sagst, macht einfach keinen Sinn.«
»Catherine, du weißt ganz genau, daß es in großen Kunstwerken eine Wahrheit gibt, die über bloße Fakten hinausgeht.«
»Wenn du von Nora redest... du meinst doch Ibsens Nora?«
»Ja. «
»Man kann ja nicht wissen, was aus ihr geworden ist. Man kann nur seine eigenen Schlüsse ziehen. Stimmt doch, oder?«
»Ich mag das, wofür Nedra steht«, sagte er. »Natürlich tust du das.«
»Das mein ich nicht. Du weißt genau, was ich meine.« »Ja, ich denke schon.«
»Verdammt noch mal!« rief er.
»Was?«
»Ich spreche von etwas anderem, verstehst du das nicht? Einem bestimmten Mut, einer Art zu leben.«
»Ich glaube, du bildest dir da was ein.«
»Das Reich einer Frau ist ihr Zuhause, was?«
»Woher dein plötzliches Interesse für Frauen?«
»Das ist kein plötzliches Interesse.«
»Scheint aber so.«
»Das Leben von Männern langweilt mich«, sagte er.
8
Als junger Mann hatte Peter Daro einmal im Hotel Alsace in Paris, in dem Oscar Wilde gestorben war, gewohnt. Sogar in demselben Zimmer. Er hatte in demselben Bett geschlafen. All das gab es nicht mehr.
Er war ein Mann mit festen Gewohnheiten, er verfügte nur über einen einzigen komischen Ausdruck: seine Mundwinkel zogen sich in gespielter Verzweiflung tief nach unten. Es diente allen Zwecken - Verwirrung, Unglauben. Er kam Freitag abends mit dem Zug aus der Stadt, die Achsen knirschten unter den alten, allmählich zerfallenden Waggons. Stimmen an den Bahnhöfen, wenn sie im Nebel anhielten, der Übermut und die Grobheit, wenn Polizisten oder Monteure in ihren Kleinstädten ausstiegen. Dann die lange ruckelige Fahrt durch die weiten Ebenen, bis schließlich die Felder auftauchten, Restaurants, die er wiedererkannte, Geschäfte. Catherine wartete im Auto; sie fuhren unter den schweren Sommerbäumen hindurch nach Hause. Ihr Haus lag offen, ungeschützt, scheunenähnlich da. Es wirkte hilfesuchend wie ein Reisender, der ohne Geld irgendwo gestrandet ist. Die unbefestigte Straße gabelte sich davor und bildete eine Insel, auf der sich ein Friedhof mit schiefen Grabsteinen befand, mit verblaßten Namen, Männer, die auf See gestorben waren. Der Wagen bog in eine Kieseinfahrt ein. Die Lichter im Haus waren an, Feuer brannte in den Kaminen, die fahlen Retriever bellten. Ein Gewohnheitstier und, ja, ein Exzentriker. Er kochte das Abendessen, seine Kinder spielten oben in ihren Zimmern. Seine Frau saß im vorderen Zimmer und unterhielt sich mit Nedra. Die Bahnsteige der kleinen
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