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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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hab darüber nachgedacht, was meine letzten Worte sein werden«, sagte er. »Weißt du, wie Voltaire gestorben ist?«
    Er wurde von Catherine unterbrochen, die mit einem Tablett und Gläsern zurückkam. Sie öffnete die Flasche und begann einzuschenken.
    »Nein«, sagte Peter, sobald er einen Schluck genommen hatte, »da stimmt was nicht.«
    »Was?«
    »Das ist nicht der gute Champagner.«
    »Doch, das ist er, Darling.«
    »Nein.«
    »Darling«, widersprach sie, »es ist der, den wir immer trinken.«
    Er stand in einem silbernen Kübel. Sie nahm ihn heraus, um ihm das Etikett zu zeigen.
    »Warum schmeckt er so komisch?« Er wandte sich an die Baroness. »Wie schmeckt er Ihnen?«
    »Recht gut.«
    »Ich verstehe. Fehlt nur noch, daß mich mein Geschmackssinn im Stich läßt. Das wäre ernst.« Er lächelte Nedra an. Er war eine Imitation seiner selbst, seltsam, mit vollem rotem Gesicht, innerlich zerfressen.
    Seine Stimme war das einzig Unveränderte an ihm, seine Stimme und sein Charakter, aber der Körper, der sie umschloß, zerfiel. All das alte, merkwürdig verknüpfte Wissen - Architektur verbunden mit Zoologie und persischer Mythologie, Hasenrezepte, die Bekanntschaft mit Malern, Museen, Flüsse im Landesinnern, dunkel von Forellen -, alles wäre verloren, wenn die großen inneren Kammern versagten, wenn in einer letzten Stunde die Zimmer seines Lebens herunterstürzten wie in einem Gebäude unter der Abrißbirne. Sein Körper hatte sich gegen ihn gewandt; die Harmonie, die einmal in ihm geherrscht hatte, war verschwunden. »Die wahren Spezialisten auf diesem Gebiet sitzen in England«, sagte er. »Dr. Bywaters. Wie heißt der andere Mann noch gleich, Catherine? Im Westminster Hospital. Ich hab's vergessen. Ich hab mir überlegt, nach England zu fahren, aber warum eine so lange Reise unternehmen, wenn ich die Antwort schon weiß? Die Zeit, nach England zu fahren, war, als du und Viri dort wart. Das hätten wir machen sollen, ich bedaure wirklich, daß wir es nicht gemacht haben. Ich liebe England. «
    »Wir haben im Brown's gewohnt«, sagte Nedra.
    »Brown's«, sagte er. »Ich hab da mal Tee getrunken. Du weißt, wie eisern sie ihren Nachmittagstee einhalten - in den Kaminen brennt Feuer, es gibt Kuchen. Am Tisch neben mir saß eine Engländerin mit ihrem Sohn. Er war um die Vierzig, und sie war eine dieser Damen vom Land, die reiten, bis sie achtzig sind. Sie waren in einer Matinee gewesen, und eine Stunde lang saßen sie da und unterhielten sich über das Stück, das sie gesehen hatten, es war Der Kirschgarten. Ich hab natürlich zugehört, und während dieser einen Stunde haben sie ungefähr vier Sätze miteinander gewechselt. Eine wunderbare Unterhaltung. Sie begann damit, daß sie nach langem Schweigen sagte: ›Gar nicht schlecht, das Stück.‹ Die nächsten fünfzehn Minuten kein Wort. Schließlich sagte er: ›Hm, ja, nicht schlechte Lange, lange Pause. Dann sagte sie: ›Diese wunderbaren stillen Momente ...‹ Ungefähr zehn weitere Minuten vergingen. ›Ja, recht effektvoll, sagte er. ›So typisch für das slawische Temperaments sagte sie.« Er schwieg, als hätte er etwas gesagt, das er bereute.
    »Ich würde so gerne noch mal nach England fahren«, sagte Nedra.
    »Mm, ja. Das wirst du bestimmt.« Seine Stimme verlor sich. Am Schluß führte seine Frau ihn aus dem Zimmer. Kleine, schlurfende Schritte, als trügen sie, was von seiner Existenz übriggeblieben war.
    »Er hat sich so gefreut, daß du da warst«, sagte Catherine an der Tür.
    Wir können uns diese Krankheiten nicht vorstellen, man nennt sie idiopathisch, sie entstehen spontan, aber wir wissen instinktiv, daß sich mehr dahinter verbergen muß, eine unsichtbare Schwäche, die sie ausnutzen. Man kann unmöglich glauben, daß sie wahllos zuschlagen, es ist unerträglich, sich das vorzustellen.
    Nedra trat auf die Straße. Sie war nervös, als ob die Luft, die sie geatmet, das Glas, aus dem sie getrunken hatte, verseucht gewesen wären. Was wissen wir schon wirklich darüber, dachte sie. Sie hatte sein Bein berührt. Ihr Hals tat ihr ein wenig weh. Sie mußte aufpassen, sehen, ob sich irgendwelche ungewöhnlichen Symptome einstellten. Das ist doch albern, dachte sie, unwürdig. Schließlich lebten seine Kinder mit ihm in derselben Wohnung, seine Frau schlief mit ihm im selben Zimmer. Sie ging an vollgestellten Drugstorefenstern vorbei, hinter denen Männer in weißen Kitteln arbeiteten. Kosmetikartikel, Medikamente, Asthma-Inhalatoren - sie

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