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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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mit Schokolade und Orangen. Sie lasen, sanken zurück in den Schlaf. Er sprach sehr wenig. Sie lebten in einem Zustand tiefer Zufriedenheit und Fülle, jenseits der Worte. Es war wie ein Regentag.
    Manchmal ging sie ins Theater, um ihn spielen zu sehen. Sie saß im Publikum, versteckt unter den anderen, sie freute sich an seinem Anblick, ihr Entzücken verstärkt durch all das, was zwischen ihnen war und von dem niemand wußte. Sie ging, um ihn endlos betrachten zu können, um ihn wie einen Schatz zu horten, sein Gesicht zu stehlen, seinen Mund, die Kraft seiner Schenkel. Wenn sie endlich befriedigt war, traf sie sich mit Eve auf einen Drink oder ging zu Kaffee und Dessert zu den Troys; sie fragten nicht, wo sie gewesen war, sie stellten sie vor, sie war willkommener als die anderen Gäste, sie war umwerfend, trunken von Leben, die Provokation stand ihr auf den Leib geschrieben. Sie war eine Frau, die beide Eheleute gleichermaßen gern sahen, sie fanden sie aufregend, sie konnten in ihrer Gegenwart reden, Dinge, die unausgesprochen geblieben wären, wurden zu etwas Einfachem, und gleichzeitig überzeugte das Rauschhafte ihres Lebens sie von dem Wert ihres eigenen. Sie lebte über ihre Kräfte, man sah es in ihrem Gesicht, in jeder ihrer Gesten; sie würde alles hergeben. Sie liebten sie, wie man den Gedanken liebt, das Leben in vollen Zügen zu trinken. Ihr Fall würde das eigene bessere Wissen, die eigene Vernunft bestätigen.
    »Dein Leben«, sagte Marina zu ihr, »ist das einzig wirkliche, das ich kenne.«
    Nedra sagte nichts.
    »Ich bedaure jetzt, daß ich nicht mitgekommen bin.«
    »Er hat mich ja gar nicht angenommen.«
    »Ich weiß, aber du bist eine von ihnen.«
    Das Theater hatte keinen festen Ort. Eine Woche lang fand es auf einer Probebühne statt, in der nächsten im Ballsaal eines heruntergekommenen Hotels. Sie entdeckte immer wieder Neues an ihm, ob unter den Scheinwerfern oder während ruhiger Tage. Sie trafen sich in Cafés. Sie trug eine ovale Brille mit Metallfassung.
    »Wofür brauchst du die?«
    »Für sehr kleine Schrift.«
    »Nein, deine Augen sind perfekt. Ich kann das an der Farbe
    erkennen, daran, wie klar sie sind.«
    »Das hat nichts zu sagen.«
    »Natürlich hat es das«, sagte er. »Alles drückt sich über den
    Körper aus. Die Art, wie sich jemand bewegt, wie Leute dich
    ansehen - daran kannst du Welten erkennen, wenn du weißt, wonach du suchst. Alles ist sichtbar.«
    »Nichts ist sichtbar.«
    Ihre Beine berührten sich unter dem Tisch. »Vor allem das«, fügte er hinzu.
    »Das sind die wahren Stunden«, sagte sie.
    Der Nachmittag verblaßt. Sie zeigt ihm Fotos von ihrer Familie, von Franca, von vergessenen Tagen.
    »Das ist deine Tochter?«
    »Unglaublicherweise. «
    Später holt er wortlos auch ein Bild hervor. Es ist ein ausgeschnittenes Foto eines van Dongen-Gemäldes von Picassos Geliebter, der berühmten Fernande. Sie ist nackt, hingegossen wie Seide. Die Ähnlichkeit mit Nedra ist verblüffend.
    »Wo hast du das her?«
    »Ich hab es schon lange«, sagte er. »Auch wenn man nicht heiraten kann, muß man eine gewisse Vorstellung seiner Frau haben. Also trag ich sie mit mir herum. Sie ist sehr praktisch. «
    Nedra spürte einen Stich von Eifersucht.
    »Ich glaube nicht an die Ehe, und ich hab keine Zeit dafür«, sagte er. »Es ist ein Konzept aus einer anderen Welt, eine andere Art zu leben. Wenn man tut, was man wirklich tun sollte, wird man bekommen, was man sich wünscht.«
    »Das stimmt.«
    »Die Bhagavadgita«, sagte er.
    Am frühen Abend, zu der Stunde, wenn man über kleine Vorgärten hinweg Menschen in erleuchteten Zimmern beieinander sitzen sehen kann, liegt sie, die Beine jeweils auf eine Ecke des Betts gerichtet, mit weit ausgebreiteten Armen da. Von der Straße hört man schwaches Hupen. Ihre Augen sind geschlossen; sie ist gefangen wie ein wunderbares wildes Tier. Ihr Stöhnen, ihre Schreie erregen ihn mehr als alles andere. Es dauert lange. Danach liegt sie nackt da, ohne sich zu bewegen. Sie küßt seine Finger. Sie baden in der Stille, in dem langen dahintreibenden Traum danach. Sie weiß genau - sie ist absolut überzeugt -, daß dies ihre letzten Tage sind. Sie wird sie nie wiederfinden.

7
    Dannys Hochzeit fand im Haus von Freunden statt. Es war auf dem Land, in der Nähe von Ossining, eine Hochzeit, die trotz aller jugendlichen Ungezwungenheit leicht altmodisch wirkte. Der Tag war warm. Es war wie ein dörflicher Sonntag. Ihre Mutter und ihr Vater waren

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