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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Sie kehrte witzig und schön zurück. Ihre Augen waren kühl. Sie wolle nur ihn, sagte sie. Sie lebe eine Leidenschaft wie d'Annunzio, eine der Geduld und Verzweiflung. Ich würde gerne in deiner Hand liegen wie ein Stück Seife, das du besonders magst. Sie saßen auf einer Bank in der Villa Borghese und aßen Milchschokolade aus der Folie. Die Farbe ihrer Brustwarzen, sagte sie später. Sie mußte abends zum Essen nach Hause. Ciao, mein Schwan, lächelte sie. Sie wurden an einem Sonntag getraut. Lias Mutter schenkte Viri einen emaillierten französischen Ring aus Familienbesitz. Sie glaubte an ihn. Beim Hochzeitsdiner war sie ausgelassen, ihre größte Sorge war verschwunden. Selbst der Bruder war herzlich.
    Sie begannen ein zweites Leben. Sie wohnten an der Via Giulia in einer Wohnung im dritten Stock. Man stieg ein ovales Treppenhaus hinauf. Sie war nicht groß, aber sie hatte ein Arbeitszimmer. Sie hatten Morgensonne, eine kleine Küche, ein Bad. Lia war sehr glücklich. Eine intellektuelle Wohnung, sagte sie.
    Sie lebten ruhig, sie hatten Frieden gefunden in Vecchia Roma, dem Teil der Stadt, den er mochte. Er begann zwischen den Geschäften, auf den Straßen spazierenzugehen, auf Wegen zur Piazza Navona, zu Sant'Eustachio. Er schlief gut. Er war schlank. Er arbeitete mit Cagli und Rova. Er wirkte jünger, er hatte weniger Falten im Gesicht, oder sie verblaßten jetzt, da sie nur aufgrund seiner Unsicherheit so tief gewesen waren. Vielleicht lag es am Licht.
    Die Tür hatte zwei Schlösser. »Rom ist voller Diebe«, sagte Lia.
    Er stand neben ihr, wenn sie den Schlüssel zwei-, drei-, viermal im Schloß umdrehte und den Bolzen immer tiefer in den Rahmen trieb. Auch für unten gab es einen Schlüssel und zwei für das Auto. Er erinnerte sich, daß sie früher nie irgend etwas abgeschlossen hatten, außer wenn sie in die Stadt fuhren. Er erinnerte sich an den Fluß, die von der Sonne warmen trockenen Rasenflächen im Herbst. Er sehnte sich nach zu Hause.
    Er erkannte den Zustand wieder, in dem er sich befand. War ich nur für so kurze Zeit frei? dachte er. Wenn er zurückblickte, schien diese Zeit von einer trügerischen Schönheit. Sein Leben war von alten Gemäuern umschlossen, von Familien, mit denen er nicht verwandt war, von Bräuchen, die sich niemals ändern würden. In den kleinen Räumen der Wohnung, in den engen Straßen schienen ihm alle Fehler Lias förmlich entgegen-zuspringen, als wollten sie endlich erkannt werden: ihre Nervosität, ihr Mangel an Unabhängigkeit, ihr Bedürfnis nach Liebe. Er erkannte, daß sie sich allein nicht amüsieren konnte, daß sie ohne ihn verzweifelt war.
    »Ich liebe dich«, erklärte sie ihm. »Ich will bei dir sein, amore. Stoß mich nicht zurück, hungere mich nicht aus.« Er konnte sie nicht davon abbringen. Er sah in ihren Augen, wie sehr sie meinte, was sie sagte. Ihre Hingabe war zu stark, sie hatte etwas Mitleiderregendes.
    Sie fuhren aufs Land nach Montarozzo, einem einfachen kleinen Ort, um dort Mittag zu essen. Es war ein milder Tag, wie der erste Tag einer Rekonvaleszenz. Sie trug einen marineblauen Rock und eine ärmellose Bluse. Auf den Feldern spielten kleine Mädchen in Kommunionskleidern, weiß im Sonnenschein, während ihre Familien an Tischen saßen und aßen. Jenseits des Feldes lagen Zuggleise. Manchmal fuhr ein langer Schnellzug vorbei, der die Blicke auf sich zog. Sie aß wie immer sehr wenig, er war daran gewöhnt. Seine Verwirrung hatte sich gelegt, er hatte verstanden. Er befand sich auf keiner Reise, er würde sein Leben hier verbringen, dieses würde sein Leben sein, dieses und kein anderes. Geduld, sagte er sich; es wird sich öffnen, sich entfalten. Das Brot war köstlich. Er tunkte Stücke davon in seinen Wein wie ein Bauer. Dies war ihr Meer, dieses Sonnenlicht, das durch die Weinblätter auf sie beide herabfiel. Sie strahlte darin. Ihr Haar war kurz und schimmernd, ihre Schüchternheit fiel von ihr ab. Die schwachen Ränder unter ihren Augen, blau, immer sichtbar, ließen sie sinnlich erscheinen. Sie war wie ein Flüchtling, eine Frau, die Armeen hatte vorbeiziehen sehen, Zerstörung, Sinnlosigkeit. Sie hatte das alles überlebt, sie war lebendig daraus hervorgegangen.
    »Du bist ein sehr guter Architekt. Weißt du, sie haben großen Respekt vor dir.«
    «Wirklich?«
    »Sie mögen dich sehr.«
    Er lächelte vage, aber er freute sich. »Es wäre doch merkwürdig, in Amerika versagt zu haben und hier etwas zu erreichen, findest du

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