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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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so, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Küste war ein kahles Industriegebiet. Es gab keine ruhigen Städtchen, keine Bauernhöfe. Lia saß am Steuer. Als er sie ansah, mit ihr redete, ihre kleinen Hände betrachtete, wurde ihm bewußt, daß er sich noch immer keine Meinung über sie gebildet hatte. Statt dessen fragte er sich vage, was Nedra dazu sagen würde. Es war, als wartete er nervös auf ihr Urteil. Er stellte sich jede Antwort vor, sogar einen wegwerfenden Kommentar, er bereitete sich darauf vor, mit ihr zu streiten - eine dieser Streitereien, die ihn immer zur Weißglut brachten, bei denen er nie gewann.
    »Woran denkst du, amore 1 .«
    »Woran ich denke? Irgendwie kann ich diese Frage nie beantworten.«
    »Sind es geheime Gedanken?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Erzähl sie mir.«
    »Nichts ist geheim. Es ist nur, daß man bestimmte Dinge nicht gut ausdrücken kann.«
    »Du machst mich neugierig.«
    »Ich erzähl es dir heut abend beim Essen«, sagte er.
    Sie lächelte.
    »Du glaubst mir nicht?«
    »Ich will nicht aufdringlich sein.«
    Das Hotel, das sie ausgesucht hatte, lag an einem Hang. Es war abseits gelegen und teuer. Sie schrieben sich in einem kleinen Rezeptionsgebäude ein, bei einem jungen Mann in gestreiften Hosen und Frack. Ihr Gepäck wurde zu einem der unteren Flügel gebracht, die Tür zu ihrem Zimmer wurde geöffnet. Wie ein Gefangener, der aus dem Verwaltungstrakt durch Korridore geführt wird und schließlich hört, wie die Stahlbolzen seine Zelle verriegeln, fühlte sich Viri in dem Moment, als sie allein waren, unsagbar deprimiert. Der Boden, auf dem er stand, war gekachelt. Das Zimmer war kühl, dunkel, das Fenster lag im Schatten anderer Mauern. Da war ein breites Bett, das aus zwei kleineren Betten bestand, die man einfach zusammengeschoben hatte. Das Bett nahm fast den ganzen Raum ein.
    »Es tut mir leid«, sagte er zu ihr. »Gefällt dir das Zimmer?«
    Sie sah sich kurz um und zuckte mit den Achseln.
    Er ging die Treppen hinauf zum Büro, wo man ihnen nach vielem Blättern im Gästebuch - obwohl das Hotel fast leer war - und langen Diskussionen zwischen dem Empfangschef und jemandem im Hinterzimmer, der unsichtbar blieb, ein anderes Zimmer gab - eine Suite.
    Viri konnte sich nicht dazu bringen, Italienisch zu sprechen.
    »Und der Preis, ist er derselbe?«
    »Ja, derselbe Preis«, sagte der Mann an der Rezeption, ohne sich die Mühe zu machen aufzusehen.
    »Danke.«
    »Selbstverständlich, der Herr.«
    Nach dem Mittagessen gingen sie hinunter zur cala. Die Sonne war warm. Der Abstieg führte in Serpentinen an Villa um Villa vorbei - alle neu, alle mit frisch angelegtem Rasen. Lia sprach darüber, wo sie in Rom leben könnten, in was für einer Wohnung. Seine Gedanken schweiften ab. Die Dächer der Villen, die kleinen Auffahrten sahen alle gleich aus. Von Zeit zu Zeit gab er einen zustimmenden Laut von sich. Er versuchte, entspannt zu wirken.
    Sie lagen am Strand mit seinem groben Sand. Die Bar aus Bambus und Palmwedeln war geschlossen, es war noch zu früh in der Saison.
    »Erzähl mir etwas«, sagte sie. »Du erzählst so wenig von dir. Mich fasziniert dein Name. Wie kommt es, daß man dir den Namen Vladimir gegeben hat?«
    »Es ist ein russischer Name. Meine Familie stammt aus Ruß-land.«
    »Aus welchem Teil?«
    »Ich weiß nicht. Aus dem Süden.«
    Er lag schweigend da. Ein einsamer Strandwärter harkte Seetang zusammen. Das Wasser war noch zu kalt, man konnte nicht baden. Als er an sich herunterblickte, sah er plötzlich die dünnen weißen Beine seines Vaters. Er wickelte sich in das Badelaken. Lia, immer ein wenig gebräunt, exotisch, fremd, hatte vom Wind eine leichte Gänsehaut. »Willst du ein Badelaken?«
    »Ich mag die Sonne lieber«, sagte sie.
    »Wie ist es so in Sizilien?«
    »Ich war noch nie in Sizilien.«
    Sie gingen langsam den Hang hinauf. Es war sehr weit, er hatte auf dem Weg nach unten versucht, nicht daran zu denken. Zweimal machte sie halt, um sich auszuruhen, und er stand da und wartete, einmal direkt vor einem Müllhaufen. »Sie werfen den Abfall einfach überall hin«, sagte sie. »Weißt du, sie streiken momentan, amore. Sie holen ihn nicht mehr ab.«
    Ihm begannen die grünen Plastiksäcke aufzufallen, die längs der Straße ins Gebüsch geworfen worden waren.
    »Wir hätten runterfahren sollen«, sagte er.
    »Sì.«
    Am späten Nachmittag hing ein Geruch von Feuchtigkeit im Zimmer. Er bemerkte eine Mücke, die oben an der Wand entlangschwebte. Er

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