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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Italiener, sie zeigten sie wie Hunde.
    Lia las den Brief. Sie schwieg, kalt. »Nein«, sagte sie, »das kannst du nicht machen. Wozu braucht sie Geld?«
    »Sie hat mich nie um etwas gebeten.«
    »Sie wird dich ausnehmen wie eine Gans. Für sie bedeutet Geld nichts, das hast du selber gesagt, sie wirft es zum Fenster raus. Wenn du ihr jetzt Geld gibst, wird sie in einem halben Jahr wiederkommen.«
    »Sie ist nicht so.«
    Er konnte es ihr nicht erklären, das war ihm klar, nicht dieser Frau, die plötzlich mißtrauisch war, wachsam. Sie war abschätzend, sie war sicher, sie kannte die Sprache, das Getriebe dieser Welt.
    Beim Abendessen griff sie das Thema wieder auf. Das desolate Klirren der Gabeln hing in der Luft.
    » Amore , ich möchte dich etwas fragen.«
    Er wußte, was kommen würde.
    »Ja, natürlich weißt du es«, sagte sie.
    Sie schien mutlos, bezwungen, als hätte sie die Gegenwart dieser anderen Frau akzeptiert.
    »Schick es nicht«, bat sie ihn.
    »Lia, warum?«
    »Schick es nicht.«
    »Also gut«, sagte er.
    » Amore, glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede.« Sie war die Hüterin einer bitteren Erkenntnis.
    »Aber die Wahrheit ist«, sagte er mit ruhiger Stimme, »daß du es nicht weißt.«
    Es herrschte Stille. Sie trug die Teller in die Küche. Sie kam zurück. »Hast du je von Paul Malex gehört?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Paul Malex ist ein Schriftsteller, er ist die Intelligenz in Europa. Hast du nie von ihm gehört?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Glaub mir, sein Wissen, seine Einsichten - es gibt niemanden, der auch nur im mindesten an ihn herankommt. Er kann fließend Griechisch und Arabisch lesen. Er bewegt sich in den erlesensten Zirkeln Europas.«
    »Was hat das damit zu tun ...«
    »Malex ist unter das Plankton getaucht. Er ist unter eine bestimmte gedankliche Ebene getaucht wie unter die Meer-esschicht, wo die Wale ihre Nahrung finden. Darunter gibt es nur Schwärze, Kälte, Ungeheuer mit großen Zähnen, die sich gegenseitig verschlingen, den Tod. Er ist da eingedrungen. Er tut das, wann immer er will. Er erkennt da Strukturen, die grundlegenden Strukturen des Lebens.« Er hatte den Faden verloren. »Wovon redest du eigentlich?« fragte er.
    »Ich rede davon, daß man in Europa bestimmte Dinge einfach weiß. Sie haben sich immer wieder bewahrheitet. Diese Stadt ist fast dreitausend Jahre alt. Du wirst sehen.« Der Brief lag auf der braunen Marmorplatte der Kommode in ihrem Schlafzimmer, seine Worte unsichtbar im Dunkeln. Sie waren schnell geschrieben, wie Nedra es immer tat, lange Sätze, ohne Pause, Worte, die man wie eine Beleidigung oder ein genaues Urteil noch einmal lesen mußte, da man sich nie genau an sie erinnern konnte, sie waren wie ihre Verfasserin, instinktiv, glitzernd, wie der kurze Blick auf einen Fisch im Wasser.
    ... du weißt, wie wenig ich dazu neige, auf Dinge zurückzukommen, die vorbei sind, aber ich wünschte wirklich, wir hätten uns damals ein kleines Haus in der Nähe von Amagansett gekauft. Entweder ein Haus oder ein paar Hektar Land. Marina hat mir erzählt, wieviel sie jetzt für ein Stück Land verlangen, und ich konnte es kaum glauben. Ich nehme an, der Grund, warum wir es nicht getan haben, war derselbe wie immer: wir hatten kein Geld. Ich beschäftige mich momentan mit sehr interessanten Din gen, die ich schon immer tun wollte. Ich arbeite halbtags in einem Blumenladen, es ist ideal für mich, so als ginge ich zu Leuten, deren Haus ich besonders mag. Genaugenommen gibt es nur wenige Blumen dort. Vor allem Grünpflanzen. Es hört sich jetzt, wo ich es schreibe, nicht gerade überwältigend an - ein Blumenladen-, aber vielleicht laß ich' s auch wieder sein und mache etwas anderes. Viri, es gibt da einen großen Gefallen, um den ich dich bitten möchte - ohne lange Erklärungen ...
    Die ganze Nacht über lagen diese Worte zusammengefaltet da. Sie kamen wie so viele andere Bittschriften in Rom an, jetzt warteten sie, sie hatten sich in die Welt all dessen begeben, was abhängig, geduldig, verzweifelt war. Und doch waren sie gefährlich. Sie lagen zwischen Kristallflaschen, zerknitterten Lirescheinen, einem Kamm, einem goldenen Kugelschreiber. Sie lagen dort, als es dämmerte. Lia war nackt, sie kniete neben seiner Hüfte. Das Morgenlicht erfüllte das Zimmer, er war noch im Halbschlaf. Sie knöpfte die zerschlissenen weißen Knöpfe seines Pyjamas auf, ihre kühlen Finger zögerten nicht, sie war ruhig, sicher, die arabische Frau, wie sie es ihm geschworen hatte.

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