Lichtjahre
Liebe geschwollen. Sie sprach in teilnahmslosem Ton.
»Wie gefällt dir Mexiko?«
Er antwortete ihr nach einer Weile. »Es ist eine schöne Stadt«, sagte er.
Er ließ ihr ein Bad ein. In der Dunkelheit sah er sein Spiegelbild wie das eines anderen Mannes, ein triumphaler Anblick, der ihn festhielt, während das Wasser in die Badewanne stürzte. Sein Körper lag im Schatten. Er schien kräftig, wie der eines Boxers oder Jockeys. Er war kein Stadtmensch; mit einem Mal war er primitiv, fest wie ein Baum. Er hatte sich nach der Liebe noch nie so lebensvoll gefühlt. All die einfachen Dinge hatten eine Stimme gefunden. Es war, als stände er während einer großen Ouvertüre hinter der Bühne, allein im Halbdunkel, aber in der Lage, alles zu hören. Sie ging an ihm vorbei, sie war nackt, ihre Haut streifte die seine. Er war von ihrer Erscheinung überwältigt, er konnte sie nicht im Gedächtnis behalten, er konnte nicht genug bekommen. Sie kümmerte sich nicht um seine Gegenwart. Ihre Nacktheit war dicht, unkindlich; ihr Hintern leuchtete wie der eines Jungen.
Sie glitt ins Wasser und band sich das Haar hoch. Er saß draußen, mit angezogenen Knien, zufrieden.
»Wie ist es?« fragte er.
»Als würde man ein zweites Mal miteinander schlafen.« Seine Augen glitten über das geschmackvoll eingerichtete Apartment. Es gibt Frauen, die vorsichtig leben, berechnend, die nur einen Schritt tun, wenn sie sicheren Boden unter den Füßen haben. Sie war keine dieser Frauen. Da waren ihre Halsketten, die ungeordnet neben dem Spiegel hingen, ihre verstreuten Kleider, ihre Zigaretten. Er stellte den Fernseher an, ohne Ton. Ein ausländisches Fabrikat mit schönen satten Farben. Es war ihm, als wäre er woanders, in einer Stadt in Europa, in einem Zug. Er hatte diesen Raum betreten, in dem eine Frau auf ihn gewartet hatte, eine kluge Frau, die wußte, warum er gekommen war. Sie stand an den Türrahmen gelehnt und beobachtete ihn, der weiße Streifen über Schoß und Hüften, die Handvoll dunkles Haar. Er sehnte sich danach, sie einfach nur anzustarren, aber er war dazu nicht frei genug. Er war irgendwie erschrocken, daß sie sich ihm hingegeben hatte. Er wußte, daß er sich auf sie gestürzt hatte wie ausgehungert.
»Glaubst du, ich sollte ins Büro zurückgehen?« sagte sie.
»Es wäre vielleicht besser, wenn wir nicht gleichzeitig zurück-kämen.« Er nahm seine Uhr auf. »Mein Gott«, murmelte er. »Es ist fast vier. Warum kommst du nicht gegen halb fünf? Sag, du bist beim Zahnarzt gewesen oder so.«
»Glaubst du, die merken was?«
»Ob die was merken?« sagte er. Er hatte langsam begonnen, sich anzuziehen. »Die haben wahrscheinlich schon längst was gemerkt. «
Er sah ihr zu, wie sie sich das Haar kämmte. Sie sah ihn im Spiegel; sie lächelte kaum. Es war ihr Schweigen, ihre Ergebenheit, die ihn überwältigten. Er hatte das Gefühl, daß sie nichts verlangte; daß sie alles zulassen würde. Er konnte sie nicht ansehen, ohne daran zu denken, ohne von Begehren erfüllt zu werden. Es war, als hätte sie sich verloren. Er hatte Angst, sie aufzuschrecken, ihr zu helfen. Es war, als hätte sie ihn noch gar nicht richtig gesehen. Wie lange konnte es dauern? Wie lange, bevor sie ihn durchschaute, seine Gedanken kannte? Er hatte Angst vor dem plötzlichen Funkeln einer Armbanduhr, dem Aufblitzen eines Lächelns, der Sonne auf der Radkappe eines Autos - jedem Ausdruck von Männlichkeit, der sie wecken könnte. Er wollte, daß sie immer weiter ihm gehörte, auch wenn er nicht daran glauben konnte, er wollte das Vertrauen spüren, auf dem alles beruhte. Er wollte, wenn auch nur für eine Stunde, unverwundbar sein, um sie zu bewundern, wie sie dalag, mit dem Gesicht nach unten, und zärtlich mit ihr reden wie mit einem Kind. Er legte ein Kissen unter sie, knickte es sorgfältig in der Mitte. Sie schwammen in Langsamkeit. Fünf Minuten schienen nötig, um zwischen ihren Beinen niederzuknien. Sie lag ausgestreckt unter ihm, seine Hände auf ihrem Körper, um ihn festzuhalten...
Sie trennten sich an der Ecke beim Museum. Sie wartete auf Grün. Die Gebäude, an denen er vorbeikam, schienen merkwürdig tot, die Straße leer, selbst im Sonnenlicht. Er drehte sich noch einmal nach ihr um. Plötzlich, er wußte nicht warum - sie überquerte gerade allein die breite Straße - verflog seine ganze Unsicherheit. Er begann zu laufen und holte sie auf den Stufen des Museums ein.
»Ich komme doch mit«, sagte er. Seine Stimme zitterte;
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