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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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allmählich kam er wieder zu Atem. »Es gibt einen Raum mit ägyptischem Schmuck, er ist wunderschön, ich wollte ihn dir zeigen. Weißt du, wer Isis ist?«
    »Eine Göttin«, sagte sie.
    »Ja. Noch eine.«
    Sie neigte den Kopf in einer Geste tiefer Zufriedenheit. Sie sah ihn an und lächelte. »Sie ist also auch eine, ja? Du kennst sie wohl alle.«
    Er spürte ihre Liebe in aller Klarheit. Sie gehörte ihm, das wurde ihm klar. Er hatte sich nie glücklicher gefühlt, sicherer.
    »Es gibt vieles, was ich dir zeigen möchte.«
    Sie folgte ihm in die großen Galerien. Er lenkte sie am Ellbogen, er berührte sie oft, an der Schulter, an den Hüften. Am Ende würde sie ihn vergessen; sie würde die Siegerin sein. Er fuhr in einer leuchtenden Dämmerung nach Hause. Die Schlußkurse der Börse wurden durchgegeben, die Bäume hielten den letzten Rest des Tages.

    Nedra saß an einem Tisch im Wohnzimmer, um sie herum lagen Zettel verstreut. Sie schrieb etwas.
    »Eine Geschichte«, sagte sie. »War der Verkehr schlimm?«
    »Nicht sehr.«
    »Du mußt sie für mich illustrieren.« Sie war in einer merkwürdig gehobenen Stimmung. Neben ihrem Ellbogen stand ein San Raphael. Sie sah auf. »Willst du auch einen?«
    »Ich nehm einen Schluck von deinem. Oder - ich trink doch einen.«
    Sie schien ruhig, sorglos; sie wußte nichts, dessen war er sich sicher. Sie ging seinen Drink machen. Er verspürte Erleichterung. Er war wie ein Hase, der endlich sicher in seinem Bau ist. Er konnte sie kurz im Flur vorbeigehen sehen, und ein Gefühl ungeheurer Wärme stieg in ihm auf, eine Zärtlichkeit für ihre Hüften, ihr Haar, die Armbänder an ihren Handgelenken. In gewisser Weise war er ihr auf einmal ebenbürtig; seine Liebe war nicht allein von ihr abhängig, sie war umfassender, eine Liebe zu Frauen, die weitgehend unerfüllt blieb, eine unerreichbare Liebe, die sich auf dieses eine eigenwillige, mysteriöse Wesen konzentrierte, aber nicht nur auf dieses eine allein. Er hatte seinen Schmerz geteilt, ihn endlich gespalten.
    Sie kam mit seinem Drink zurück und setzte sich in einen bequemen Sessel. »Wie war's? Viel Arbeit?«
    »Ja, schon.« Er nippte an dem Drink. »Köstlich. Danke.«
    »Und lief alles gut?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Mhm.«
    Sie wußte nichts. Sie wußte alles, der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, sie war zu klug, um etwas zu sagen. »Was hast du heute gemacht?« fragte er. »Es war ein wunderbarer Tag, wirklich. Ich hab für Franca und Danny die Geschichte von dem Aal aufgeschrieben. Ich mag die Bücher, die sie in der Schule bekommen, nicht. Ich will ein eigenes machen. Laß sie mich dir vorlesen. Ich hol sie.« Sie lächelte ihn an, bevor sie sich erhob, ein breites verständnisvolles Lächeln.
    »Der Aal...«, sagte er.
    »Ja.«
    »Sehr Freudianisch.«
    »Und wenn schon, Viri, ich glaub an das ganze Zeug nicht. Ich finde es ziemlich einseitig.«
    »Einseitig. Ja, einseitig ist es bestimmt, aber der Symbolismus ist unverkennbar.«
    »Welcher Symbolismus?«
    »Ich meine, es ist ganz offensichtlich ein Schwanz«, sagte er. »Ich hasse diesen Ausdruck.«
    »Der ist doch harmlos.«
    »Nein, ist er nicht.«
    »Ich meine, es gibt schlimmere.«
    »Ich mag ihn einfach nicht.«
    »Was für einen magst du denn?«
    »Welchen Ausdruck?«
    »Ja. «
    »Einen Unvergleichlichen«, sagte sie.
    »Einen Unvergleichlichen?«
    »Ja.« Sie fing an zu lachen. »Er hatte einen großen Unvergleichlichen. Hör zu, was ich geschrieben habe.«
    Sie zeigte ihm eine Zeichnung, die sie gemacht hatte. Nur, um ihm eine Vorstellung zu geben; seine würden besser werden. »Nedra«, sagte er. »Das ist wunderschön.«
    Ein merkwürdiges schlangenartiges Wesen, mit eleganten Linien gezeichnet, lag in einem Nest aus Blumen.
    »Was für eine Feder hast du genommen?« sagte er.
    »Eine sensationelle Feder. Schau. Ich hab sie neu gekauft.«
    Er sah den Federhalter an.
    »Man kann die Federn auswechseln«, erklärte sie.
    »Das ist ein wunderbarer Aal.«
    »Jahrhundertelang«, sagte sie, »wußte man nichts von ihnen, Viri. Sie waren ein absolutes Rätsel. Aristoteles hat geschrieben, daß sie geschlechtslos seien - keine Eier, keine Samen. Er meinte, sie würden ausgewachsen aus der Tiefe aufsteigen. Die Menschen haben das Tausende von Jahren geglaubt. «
    »Legen sie denn keine Eier?«
    »Das werd ich dir alles erzählen«, versprach sie. »Ich habe heute den ganzen Tag an diesem Aal gezeichnet. Gefallen dir die Blumen?«
    »Ja. Sehr. «
    »Du kannst das

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