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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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viel besser als ich, deine werden bestimmt besser. Im übrigen hast du recht, der Aal ist schon was Männliches, aber Frauen verstehen das auch. Es fasziniert sie.«
    »Davon hab ich schon gehört«, murmelte er.
    »Hör zu...«
    Er war leer, entspannt. Die dunklen Fenster ließen das Zimmer hell erscheinen. Er war vom Meer heimgekehrt, von einer aufregenden Reise. Er hatte sich die Kleider glattgestrichen, das Haar gebürstet. Er war voller Geheimnisse, voller Täuschungen, die ihn wieder ganz gemacht hatten. »Der Aal ist ein Fisch aus der Ordnung der Apoden«, las sie vor. »Er ist braun bis olivgrün, an den Seiten gelb und hat einen hellen Bauch. Das Männchen lebt in Häfen und Flüssen. Das Weibchen lebt weit vom Meer entfernt. Das Leben der Aale war immer ein Mysterium. Niemand wußte, woher sie kamen, niemand wußte, wohin sie gingen.«
    »Das ist ja ein Buch«, sagte er.
    »Ein Buch oder eine Geschichte. Nur für uns. Ich liebe die Beschreibungen. Sie leben im Süßwasser«, fuhr sie fort. »Aber einmal in ihrem Leben, und nur dieses eine Mal, ziehen sie ins Meer. Sie unternehmen die Reise gemeinsam, Männchen und Weibchen. Sie kehren nie zurück.« »Das entspricht natürlich den Tatsachen.« »Aale schlüpfen aus Eiern. Danach werden sie zu Larven. Kaum einen Zentimeter lang und durchsichtig, treiben sie mit der Meeresströmung. Sie ernähren sich von Algen. Nach einem Jahr oder länger erreichen sie schließlich die Küste. Hier entwickeln sie sich zu richtigen kleinen Aalen, und hier, an den Flußmündungen, trennen sich die Weibchen von den Männchen und ziehen flußaufwärts. Aale sind Allesfresser. Sie ernähren sich von toten Fischen und Tieren, Krebsen und Krabben. Am Tag halten sie sich im Schlamm verborgen, und nachts fressen sie. Im Winter machen sie Winterschlaf.«
    Sie nippte an ihrem Drink und las weiter. »Das Weibchen lebt jahrelang so, in Teichen und Flüssen, und dann, eines Tages im Herbst, hört sie mit einem Mal auf zu fressen. Ihre Haut färbt sich schwarz oder fast schwarz, ihre Nase wird spitzer, ihre Augen werden groß. Dann zieht sie flußabwärts zum Meer. Sie bewegt sich nachts fort, tagsüber ruht sie; mitunter durchquert sie Wiesen und Felder.«
    »Und das Männchen?«
    »Sie trifft auf das Männchen, das sein ganzes Leben nahe der Flußmündung zugebracht hat, und zusammen kehren sie zu Hunderttausenden an den Ort ihrer Geburt zurück, in das Meer der Algen, die Sargassosee. In unermeßlicher Tiefe paaren sie sich und sterben.«
    »Nedra, das hört sich wie Wagner an.«
    »Es gibt gewöhnliche Aale, Hechtaale, Schlangenaale, Spitzkopfaale, Aale jeglicher Sorte. Sie werden im Meer geboren, sie leben im Süßwasser, und sie ziehen ins Meer, um zu laichen und zu sterben. Findest du das nicht bewegend?«
    »Doch.«
    »Ich weiß nicht, wie ich es enden lassen soll.«
    »Vielleicht mit einer schönen Zeichnung.«
    »Oh, es wird auf jeder Seite eine Zeichnung geben«, sagte sie. »Ich will, daß es voll von Zeichnungen ist.«
    Seine Augen waren müde.
    »Ich möchte blaßgraues Papier benutzen«, sagte sie. »Hier, zeichne mal einen.«
    Die Kinder kamen herunter.
    »Einen Aal?« sagte er.
    »Hier sind eine Menge Abbildungen von ihnen.«
    »Dürfen sie sehen, was ich mache?«
    »Nein«, sagte sie. »Nein, es soll eine Überraschung sein.«
    Sie aßen in einem chinesischen Restaurant, das am Wochenende immer überfüllt, an diesem Abend aber ziemlich leer war. Die Speisekarten waren abgegriffen und gingen an der Faltstelle schon auseinander. Er trank zwei Wodka und zeigte seinen Kindern, wie man mit Stäbchen aß. Die Gerichte wurden auf den Tisch gestellt und aufgedeckt: Krabben mit Erbsen, geschmortes Huhn, Reis. Ein Doppelleben ist ganz natürlich, dachte er, während er sich eine Wasserkastanie nahm. Ein Doppelleben ist notwendig. Währenddessen redete er über China: Legenden von Kaisern, die steinernen Vergnügungsboote von Peiping. Nedra schien wachsam, still. Plötzlich wurde er vorsichtig, fast schweigsam, aus Angst, sich zu verraten. Da war etwas, das er übersehen hatte, er versuchte sich vorzustellen, was es sein könnte, etwas, was ihr durch Zufall aufgefallen war. Die Schuld des Unerfahrenen überlief ihn wie eine eingebildete Krankheit. Er versuchte ruhig zu bleiben, realistisch.
    »Wollt ihr etwas zum Nachtisch?« fragte er.
    Er rief den Kellner, der ein Namensschild an seinem Jackett trug.
    »Kenneth?« sagte Viri überrascht.
    »Kennif«, bestätigte der

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