Lichtjahre
Chinese.
»Ah, ja. Kenneth, was haben Sie zum Dessert? Haben Sie Glücksplätzchen?«
»Oh, ja, Ssah.«
»Kumquats?«
»Keine Kumquat«, sagte Kenneth.
»Keine Kumquat?«
»Nifts mehr«, sagte er bedauernd.
»Dann also nur die Plätzchen«, sagte Viri.
Er lag in einem frischen Pyjama im Bett und wartete. Seine Schuhe waren im Schrank, seine Kleider weggeräumt. Die Kühle des Kissens unter seinem Kopf, das Gefühl von Müdigkeit und Wohlbehagen, das ihn durchdrang - er untersuchte diese Dinge, als wären sie böse Vorzeichen. Er lag ergeben und erwartungsvoll da, bereit für den Schlag. Nedra kam ins Bett. Er lag still da; er konnte die Augen nicht schließen. Ihre Gegenwart war das letzte Unterpfand von Weihe und Ordnung, wie jene großen Heerführer, die sich als letzte schlafen legten. Das Haus war still, die Fenster dunkel, seine Töchter lagen in ihren Betten. An Nedras Finger, irgendwo neben ihm, war ein goldener Trauring, vielleicht war der Finger tintenbefleckt, ein Finger, den er so gerne gestreichelt hätte, den er nicht zu berühren wagte. Sie lagen nebeneinander im Dunkeln. In einer Schublade des Schreibtischs lag hinten ein Brief vergraben, aus einzelnen Wörtern zusammengesetzt, die aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten waren, ein geklebter Liebesbrief, mit Witzen und leidenschaftlichen Vorschlägen, ein berühmter Brief aus Georgia, bevor sie geheiratet hatten, als Viri beim Militärdienst war, voll schmerzlicher Sehnsucht, allein. Im Gewächshaus nisteten Bienen, der Fluß fraß sich ins Ufer. Auf einer kleinen Spiegelkommode, in einer Schachtel mit vier kleinen Füßen, waren Halsketten, Ringe, ein Seestern, hart wie Holz. Ein Haus, so reich wie ein Aquarium, angefüllt mit dem Rhythmus des Schlafs, kraftlosen Gliedern, halb geöffneten Mündern. Nedra war wach. Sie stützte sich plötzlich auf einen Ellbogen.
»Was ist das für ein unglaublicher Gestank?« sagte sie.
»Hadji? Bist du das?«
Er lag unter dem Bett.
»Komm da raus«, rief sie.
Er ließ sich nicht von der Stelle bewegen. Sie rief weiter ihre Kommandos. Endlich kam er mit angelegten Ohren hervor.
»Viri«, seufzte sie. »Mach das Fenster auf.«
»Ja, was ist?«
»Dein verdammter Hund.«
10
Marcel-Maas wohnte in einer nicht fertiggestellten Scheune aus Stein, die er zu großen Teilen selbst ausgebaut hatte. Er war Maler. Er hatte eine Galerie, die seine Arbeiten ausstellte, aber er war noch ziemlich unbekannt. Seine Tochter war siebzehn. Seine Frau - die Leute fanden sie merkwürdig - war in den letzten Jahren ihrer Jugend. Sie war wie ein schönes Essen, das man über Nacht stehengelassen hatte. Es war üppig, aber die Gäste waren fort. Ihre Wangen hatten zu zittern begonnen, wenn sie ging. Ein dichter Bart, eine warzige Nase, Kordjacke, lange Schweigepausen: das war Marcel-Maas. Seine Bemühungen galten jetzt alle der Leinwand; die Fensterrahmen der Scheune blätterten ab, die Innenwände hatten Flecken. Er reparierte nichts, nicht einmal die undichte Stelle im Dach; er ging nur selten aus, er fuhr niemals Auto. Er haßte Reisen, sagte er. Seine Frau war eine einsame Stute auf der Weide. Sie wartete auf den Wahnsinn und graste ihr Leben dahin. Sie fuhr in die Stadt, zu Bloomingdale's, dem Gynäkologen, zu Geschäften für Künstlerbedarf. Manchmal sah sie sich nachmittags einen Film im Kino an.
»Reisen ist Unsinn«, verkündete er. »Man sieht sowieso nur Dinge, die schon in einem sind.«
Er hatte seine Hausschuhe an. Sein schwarzes Haar hing wirr um seinen Kopf.
»Ich kann dir da nicht ganz zustimmen«, sagte Viri. »Diejenigen, für die eine Reise ein Gewinn wäre, die Sensibilität besitzen, die müssen nicht erst verreisen.«
»Das ist, als würde man sagen, diejenigen, für die eine Ausbildung von Nutzen wäre, brauchten gar keine«, sagte Viri. Marcel-Maas schwieg. »Du nimmst das zu wörtlich«, sagte er endlich.
»Ich reise gern«, bemerkte seine Frau.
Schweigen. Marcel-Maas ignorierte sie. Sie stand am Fenster, sah in den Tag hinaus und trank ein Glas Rotwein. »Robert ist der einzige Mensch, den ich kenne, der nicht gern verreist«, sagte sie. Sie sah weiter aus dem Fenster.
»Wo bist du schon jemals gewesen?« sagte er.
»Das ist eine gute Frage, nicht wahr?«
»Du redest von etwas, wovon du keine Ahnung hast. Du hast darüber gelesen. Du hörst von diesen Ärzten und ihren Frauen, die nach Europa fahren. Bankangestellte fahren nach Europa. Was gibt's schon in Europa?«
»Wovon redest
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