Lichtjahre
Franca hat einen schwarzen Badeanzug. Ihre Beine sind kräftig, sie glänzen vom Wasser, aber sie hat Angst vor den Wellen. Danny ist mutiger. Sie geht mit ihrem Vater hinaus in die Brandung; sie schreien und lassen sich von den Wellen hereintragen. Franca kommt zu ihnen ins Wasser. Der Hund steht bellend am Strand. Das Zischen der auslaufenden Wellen am langen Nachmittag, die breiten Streifen aus braunem Schaum, Seetang, den die Stürme heraufgespült haben, die Muscheln, die ausgebleichten Planken. Im Westen ist es diesig, ein breites, schimmerndes Nebelband, als würde es dort regnen. Franca hat in den Dünen den ausgetrockneten Panzer eines Käfers gefunden. Sie bringt ihn zu Viri. Die leichte Hülle zittert auf ihrer Handfläche. Der Käfer hatte so etwas wie ein Horn.
»Guck mal, Papa.«
»Das ist ein Nashornkäfer«, erklärt er ihr.
»Mama!« ruft sie. »Schau mal! Ein Nashornkäfer!« Sie ist neun. Danny ist sieben. Diese Jahre sind endlos, aber sie bleiben nicht in der Erinnerung.
Viri schläft in der Sonne. Er ist braun, seine Fingernägel sind gebleicht. Montags fährt er mit dem Zug in die Stadt und kommt am Donnerstagabend zurück. Er pendelt zwischen diesem und einem anderen Glück hin und her. Er hat eine neue Sekretärin. Sie arbeiten zusammen in einer Art Euphorie, als gäbe es nichts anderes in ihrem Leben. Die Abgeschiedenheit und Gleichmütigkeit der Stadt im Sommer zieht sie in ihren Bann, wie ein langer Urlaub, wie eine Reise. Er kann ihre Liebenswürdigkeit kaum fassen, die Schönheit ihres Namens: Kaya Doutreau. In seiner Nähe am Strand liegen zwei junge Frauen auf dem Bauch. Hinter ihnen, verstreut, Familien, Kleider, allein sitzende Männer. Es ist spät. Das Meer ist leer. Am Rand des Wassers gehen ein bärtiger junger Mann in Levis mit nacktem Oberkörper und ein Mädchen in einem sehr knappen Badeanzug spazieren. Sie unterhalten sich mit gesenkten Köpfen. Die neue Freiheit strömt aus ihnen heraus; ihr Leben scheint unendlich sinnvoll und süß. Manchmal gegen Mittag sieht er sich und ein Kind in einem Schaufenster gespiegelt, sieht sie, als würde er in den Strom des Lebens blicken, zwischen Kuchen und Flaschen von Bordeaux. Sie stehen einen Moment lang da, den Rücken zur Straße. Sie haben fast all ihre Besorgungen erledigt. Ihr Gesicht schmiegt sich an seinen Arm. Sie sind sprachlos, vereint. Sie trägt einen Strohhut. Ihre Füße sind nackt. Er wird von einem Gefühl der Zufriedenheit überwältigt. Die Sonne füllt die sommerliche Kleinstadt.
Sie kehren zum Haus zurück. Das gedämpfte Geräusch zuschlagender Autotüren. Danny füttert neben der Küchenstufe das Kaninchen, ein schwarzes Kaninchen mit zwei weißen Pfoten und einem weißen Fleck auf der Brust; sie nennen es seinen Stern. Sein Maul bewegt sich hastig, wenn es frißt. Seine Ohren sind flach angelegt. In den überquellenden Einkaufstüten findet Viri eine Karotte. »Hier«, sagt er.
Sie schiebt sie durch den Maschendraht des Käfigs. Das Kaninchen nimmt sie zu sich wie ein mechanisches Spielzeug.
»Mittagessen mag er am liebsten«, sagt sie.
»Was ist mit Frühstück?«
»Das mag er auch.«
»Wäscht er sich die Hände?«
Das Karottengrün verschwindet ruckweise in seinem Maul.
»Nein«, sagt sie.
»Putzt er sich die Zähne?«
»Kann er nicht«, sagt sie.
»Warum nicht?«
»Kein Waschbecken da.«
Danny ist weniger folgsam; sie hat einen eigenwilligen Charakter. Sie ist nicht so schön. Im Sommer verbirgt sich das hinter ihrer Magerkeit und braunen Haut. Sie geht mit einem Schwimmreifen ins tiefe Wasser, waghalsig, zappelnd wie ein Insekt. Es ist Morgen, die Brandung fällt vornüber, weiße Zähne zischen ans Ufer. Viri sieht im Sand sitzend zu. Sie winkt ihm zu, ihre Rufe werden vom Wind fortgetragen. Plötzlich versteht er, was es heißt, ein Kind zu lieben. Es überwältigt ihn wie die Zeile in einem Lied. Morgen; das schwache Geräusch der Brandung im Wind. Seine sonnenverbrannten Töchter gehen über knarrende Dielen. Sie verbringen ihr Leben zusammen in einem Bund, der niemals enden wird. Sie gehen in den Zirkus, in Läden, zum überdachten Markt von Amagansett mit seinen überladenen Regalen und Früchten, zu Picknicks, Umzügen, zu Konzerten in von Bäumen umstandenen Holzkirchen. Sie betreten die Philharmonie Hall. Im Zuschauerraum wird es still. Sie haben ihre Plätze einge-nommen, das Programmheft auf dem Schoß. Eine Symphonie anzuhören heißt, das Buch der Gesichter aufzuschlagen. Der
Weitere Kostenlose Bücher