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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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sich an sie. Ihre Anwesenheit spricht ihn frei, langsam wird er zufrieden. Diese Welt, die Vögel in ihrem Federkleid, das Sonnenlicht... Sinn, zumindest für diesen Moment. Es tröstet ihn. Er fühlt sich warm, stark, erfüllt von unbezwingbarer Freude. Was geht zwischen den beiden, diesem Paar, in den endlosen Stunden ehelichen Beisammenseins vor? Was findet seinen Weg, was fließt zwischen ihnen? Ihr Schlafzimmer war geräumig, mit Blick auf den Fluß und in Taillenhöhe beginnenden Fenstern mit Doppelflügeln, rautenförmig geschnittenen Scheiben, uneben und nach außen gewölbt, wie durch Hitze verzogen; hier und da fehlte eine Strebe, löste sich eine Raute aus ihrer weichen Bleifassung. Die Wände waren ein verblichenes Türkis, eine merkwürdige Farbe, die ihn nicht mehr störte. Hinter einer Flügeltür lag eine weiße Glasveranda, wie Leinen so weiß, in der ihr Hund mit den Füßen nach oben auf einer Korbbank schlief. Ihr Leben bestand aus zwei Dingen: es war erstens mehr oder weniger ein Leben - oder zumindest die Vorbereitung auf eines -, und es war zweitens eine Illustration des Lebens für ihre Kinder. Sie hatten das nie so klar ausgedrückt, aber sie waren sich darin einig, und diese zwei Versionen waren miteinander verknüpft - wenn die eine verdeckt war, kam die andere zum Vorschein. In jenen Jahren wollten sie, daß ihre Kinder das Unmögliche bekamen, nicht im Sinne des Unerreichbaren, sondern im Sinne des Reinen. Kinder sind unsere Ernte, unsere Felder, unsere Erde. Sie sind in die Dunkelheit entlassene Vögel. Sie sind erneuerte Irrtümer. Und doch sind sie die einzige Quelle, aus der ein Leben geschöpft werden kann, das erfolgreicher, das wissender ist als unser eigenes. Vielleicht werden sie etwas tun, einen Schritt weiter gehen, den Gipfel erblicken. Wir glauben daran, an den Glanz, der aus der Zukunft strömt, aus Tagen, die wir nicht erleben werden. Kinder müssen leben, müssen triumphieren. Kinder müssen sterben; das ist eine Vorstellung, die wir nicht akzeptieren können. Es gibt kein Glück wie dieses Glück: ruhige Morgen, Licht vom Fluß, das Wochenende liegt vor einem. Sie lebten ein russisches Leben, ein reiches Leben, ineinander verwoben, in dem das Unglück von einem, ein Mißerfolg, eine Krankheit, sie alle ins Wanken brächte. Es war wie ein Gewand, dieses Leben. Seine Schönheit lag außen, seine Wärme innen.

    Für Francas Geburtstag hatten sie ein wundervolles Tischtuch aufgelegt, das Nedra selbst gemacht hatte, ein Dschungel aus Blumen, die sie aus Papier ausgeschnitten und dann Stück für Stück aufgeklebt hatte, die üppigsten Farne und Gräser, die man sich vorstellen konnte. Sie machte auch Einladungskarten, Spiele, Hüte. Es gab Kochmützen, Zylinder, blaugoldene Schaffnermützen mit darauf gemalten Namen. Über dem Tisch hing ein großer Pappmaché-Frosch, vollgefüllt mit Geschenken und Schokoladentalern. Viri spielte Klavier für ›Die Reise nach Jerusalems peinlich darauf bedacht, nicht zu den nervösen Wanderern aufzublicken. Leslie Dahlander war da, Dana Paum, deren Vater Schauspieler war. Es waren insgesamt neun kleine Mädchen, keine Jungen. Ein Kuchen mit orangenem Zuckerguß. Nedra hatte sogar Eis mit Vanillegeschmack gemacht, das so zäh war, daß es sich wie Sahnekaramel zog. Das Haus war wie ein Theater; tatsächlich gab es zum Abschluß des Tages eine Kasperlevorführung, bei der Viri und Jivan hinter der Bühne knieten, die losen Blätter des Textes zwischen ihnen, die schlaffen Hüllen der Puppen in der Reihenfolge ihres Auftritts sor tiert. Die Kinder saßen auf Sofas, sie schrien und klatschten. Sie kannten das Stück auswendig. In ihrer Mitte saß Franca. An diesem Geburtstag schien sie schöner als je zuvor. Ihr Gesicht strahlte vor Freude, ihre weißen Zähne blitzten. Viri konnte durch einen Spalt am Bühnenrand einen Blick auf sie werfen. Sie hatte die Hände im Schoß. Sie saß aufmerksam da, hing an jedem Wort.
    »Wo ist das Baby?«
    »Warum? Hast du es nicht gefangen?«
    »Gefangen? Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Na ja, ich hab es aus dem Fenster geschmissen, ich dachte, du kämst vielleicht gerade vorbei.«
    Rufe des Entzückens. Franca strahlte, sie war größer als die Mädchen um sie herum. Sie war eindeutig der Star unter ihnen.
    Die Autos kamen langsam die Einfahrt hinauf, um die erschöpften Gäste abzuholen, in den Fenstern gingen die Lichter an, Dunst erfüllte den Abend. Hadji lag ermattet zwischen Papier und Spielzeug.

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