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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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man gleichzeitig dem endlosen Stumpfsinn dieser Art von Leben ausgesetzt ist, der Langeweile, den Streitereien.«
    Er rückte ein Kissen zurecht. Sie hob den Körper wortlos. »Ohne Kuh keine Milch«, sagte er.
    »Ohne Kuh?«
    »Du verstehst schon.«
    »Wenn man Milch will, muß man die Kuh ertragen, den Stall, Felder, das ganze Zeug.«
    »Ganz genau«, sagte er.
    Er bewegte sich ohne Hast, wie ein Mann, der den Tisch Teller für Teller deckt. Es gibt Zeiten, da ist man wichtig, und andere, da existiert man kaum. Sie spürte, daß er kniete. Sie konnte ihn nicht sehen, ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht an das Laken gedrückt.
    »Carezza.«
    Er war ernst, hörte nichts. »Also gut«, sagte er.
    Er war langsam, konzentriert, wie ein Analphabet, der zu schreiben versucht. Er war sich ihrer nicht bewußt; er begann den Liebesakt, als wäre es eine Beschwörung. Die Langsamkeit, die Eindringlichkeit streckten sie förmlich nieder. »Ja«, murmelte er. Seine Hände waren auf ihren Schultern, auf der Rundung ihres Hinterns, mit einer Kraft, die sie hilflos machte. Das Gewicht, die Anmaßung waren überwältigend. Ihr Stöhnen begann lauter zu werden.
    »Ja«, sagte er. »Komm, schrei.«
    Keine Bewegung war zu spüren, keine einzige, außer einer langsamen Dehnung, auf die sie wie auf einen Schmerz reagierte. Sie wand sich, schluchzte. Ihre Schreie waren gedämpft. Er tat nichts, dann mehr und mehr. Danach fühlten sie sich, als wären sie meilenweit gelaufen. Sie lagen nebeneinander, sie konnten nicht sprechen. Ein leerer Tag, die Möwen über dem Fluß, Blau und sich spiegelndes Blau wie Schichten von Marienglas. »Wenn du das machst«, sagte sie, »habe ich manchmal das Gefühl, ich geh so weit, daß ich nicht mehr zurückkann. Ich fühl mich so, als wäre ich... « Sie richtete sich plötzlich halb auf. »Was ist das?«
    Die Tür klapperte. Er horchte. »Das sind die Katzen.«
    Ihr Kopf fiel zurück auf das Bett.
    »Was wollen sie?«
    »Sie wollen rein«, sagte er. »Das ist ihr einer Ehrgeiz.«
    Das Geräusch an der Tür hielt an.
    »Laß sie rein.«
    »Nicht jetzt.«
    Sie lag da wie eine schlafende Frau. Ihr Rücken war nackt, ihre Arme lagen über ihrem Kopf, ihr Haar war offen. Er berührte diesen Rücken, als wäre er etwas, das er erworben hatte, als hätte er ihn zum ersten Mal entdeckt.
    Sie könnte niemals ohne ihn sein, das hatte sie ihm gesagt.
    Es gab Zeiten, da haßte sie ihn, weil er frei war und sie nicht; er hatte keine Kinder, keine Frau.
    »Du wirst nicht heiraten, oder?« sagte sie.
    »Na ja, ich denk natürlich manchmal dran.«
    »Du brauchst nicht zu heiraten. Die Frucht der Ehe besitzt
    du bereits.«
    »Die Frucht. Die Frucht ist etwas anderes.«
    »Du hast viel Zeit«, beharrte sie. »Ich bin dumm. Ich habe dir verraten, wovor ich am meisten Angst habe.«
    »Hab keine Angst.«
    »Ich kann nicht anders. Ich kann dagegen nichts tun. Ich brauche dich.«
    »Unser Leben liegt immer in der Hand anderer Menschen.« Ihr Auto stand vor der Tür. Es war Nachmittag, Winter, die Bäume waren kahl. Ihre Kinder waren in der Schule, schrieben in großen Buchstaben, zeichneten silberne und grüne Karten von den Bundesstaaten.
    Viri kam in der Dunkelheit nach Hause, die Scheinwerfer verkündeten seine Ankunft, strahlten die Bäume an, das Haus, und erstarben wie verlöschende Sterne. Die Tür schloß sich hinter ihm. Er kam aus der Abendluft herein, kühl und bleich, als käme er aus dem Meer. Selbst sein Haar war feucht und wirr. Er kam von seinen Zeichnungen zurück, von Diskussionen mit Bauherren. Er war müde, ein wenig zerknittert.
    »Hallo, Viri«, sagte sie.
    Im Kamin brannte ein Feuer. Seine Kinder legten Gabeln auf den Tisch.
    »Möchtest du einen Drink?« fragte sie.
    »Ja.« Er küßte seine Töchter, eine nach der anderen. Er aß eine kleine grüne Olive, bitter wie Tee. Sie bereitete den Drink. Sie mochte ihr Leben an diesem Abend, das konnte er sehen. Sie war voller Zufriedenheit. Es lag auf ihren Lippen, im Schatten ihrer Mundwinkel. »Franca«, sagte sie. »Hier, mach den Wein auf.« Das Radio spielte. Die Kerzen auf dem Tisch waren angezündet. Die ersten Winternächte mit ihrer flutartigen Kälte. Von weitem sieht das Haus wie ein Schiff aus, dunkel, reglos, jedes Fenster lichterfüllt.

4
    Robert Chaptelle war dreißig. Sein Haar wurde schon dünn, seine Lippen waren unnatürlich rot. Unter seinen Augen lag der blaue Schatten von Krankheit, Asthma unter anderem, das Asthma von Proust. Ein

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