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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Totengeläut. Danach kamen Fieber und Kopfschmerzen. Sie schwoll überall an. Sie fiel ins Koma. Es dauerte natürlich Wochen. Schließlich - es war abends, Viri brachte Holz herein, kleine Stückchen Borke hingen an seinen Ärmeln, seine Arme waren beladen: er stapelte die Holzscheite zu einem Stoß, einem Schutzwall, der den Winter über reichen würde -starb sie. Ihr Vater war noch bei der Arbeit. Ihre Mutter saß auf einem Klappstuhl, und ihr Kind hörte auf zu atmen. Innerhalb einer Sekunde war sie nicht mehr da. Sie war plötzlich leichter, viel leichter, sie lag da in einer Art erschreckender Bedeutungslosigkeit. Alles war von ihr gewichen - die Unschuld, das Weinen, die pflichtbewußten Ausflüge mit ihrem Vater, das Leben, das sie nie gelebt hatte. All diese Dinge haben ein Gewicht. Sie gehen vorüber, lösen sich auf, verwehen wie Staub.

    Die Tage hatten ihre Wärme verloren. Manchmal gab es zur Mittagszeit wie zum Abschied ein, zwei sommerliche Stunden, die schnell verflogen. Auf den Ständen in nahe gelegenen Obstgärten lagen harte, gelbe Äpfel, gefüllt mit kräftigem Saft. Sie zerbarsten an den Zähnen, sie spuckten weiße Spritzer wie im Streit. Auf den entfernt liegenden Feldern, Seen naßfeuchter Erde weit außerhalb der Städte, hingen noch Tomaten an den Stauden. Auf den ersten Blick schienen es nur ein paar zu sein, aber sie waren versteckt, unter den Blättern verborgen; so hatten sie überlebt. Nedra hatte einen Korb voll gesammelt. Viri zwei. Das Gewicht war erstaunlich. Sie waren wie nasse Kleider; sie waren schwer wie Orangen. Eine Familie von Ährenlesern, mit schmutzigen Gesichtern und von dieser letzten feuchten Erde geschwärzten Händen. Es war ein Feld in der Nähe von New City, der Farmer war ihr Freund. »Pflückt die kleinen«, sagte Viri zu seinen Töchtern. Auch ihre Körbe füllten sich. Sie steckten die kleinen in ihre Taschen, die, die noch teilweise grün waren. Sie zogen die endlosen Reihen hinunter, liefen vor und zurück, ermüdeten, lernten sich zu bücken, zu arbeiten, die bloße Frucht in den Händen zu spüren. Sie riefen einander zu, manchmal saßen sie auf der Erde.
    Endlich erreichten sie das Ende des Feldes. »Papa, wir haben ganz viele!«
    »Laßt mal sehen.«
    Sie standen neben dem Auto, um sie herum häuften sich Tomaten, noch schmutzig von der Erde, die Luft wurde kühl. Nedra sah aus wie eine Frau, die einmal reich gewesen war. Sie hielt die Hände vom Körper weg. Ihr Haar hatte sich gelöst. »Was machen wir nur mit diesen ganzen verdammten Tomaten?« lachte sie. Ihr wunderbares Lachen, im Herbst, am Rande der Felder.
    »Komm, Hadji«, rief sie, »du dreckiges Vieh.« Seine Nase war mit Erde verschmiert. »Das war aber ein Tag, was?« sagte sie.
    Ihre Fingernägel waren schwarz, ihre Schuhe verkrustet. Sie stellten die Tomaten in den unbeheizten Vorraum der Küche, als Jivan in der Dämmerung vorfuhr.

3
    »Es gibt Dinge, die liebe ich an der Ehe. Ich liebe die Vertrautheit«, sagte Nedra. »Sie ist wie eine Tätowierung. Du hast sie damals gewollt, du kriegst sie, sie wird dir in die Haut geritzt, du wirst sie nicht mehr los. Du denkst nicht einmal mehr an sie. Ich nehme an, ich bin sehr konventionell«, entschied sie. »In manchen Dingen... «
    »Wenn du Leute fragst, was sie sich wünschen, was würden die meisten von ihnen sagen? Ich weiß, was ich sagen würde: Geld. Ich hätte gerne Geld. Ich hab nie genug davon.« Jivan sagte nichts.
    »Ich bin nicht materialistisch, das weißt du. Na ja, wahrscheinlich doch, nehm ich an; ich mag schöne Kleider und Essen, ich mag keine Busse oder deprimierende Orte, aber Geld, Geld ist wunderbar. Ich hätte jemanden mit Geld heiraten sollen. Viri wird nie welches haben. Nie. Weißt du, es ist schrecklich, an jemanden gebunden zu sein, der dir niemals das geben kann, was du willst. Ich meine, die einfachsten Dinge. Wir sind wirklich nicht dazu geschaffen, zusammenzuleben. Und doch, weißt du, wenn ich sehe, wie er Puppen für sie macht, und sie sitzen da, die Köpfe dicht an seinem, und sind vollkommen versunken.« »Ich weiß.«
    »Er macht Puppen für das ganze Elefantenkind.«
    »Ja.«
    »Den Kola-Kola Vogel, das Krokodil, einfach alles. Weißt du, er ist richtig begabt. Er sagt: ›Franca...‹ , und sie sagt: ›Ja, Papa.‹ Ich kann das nicht erklären.«
    »Franca ist sehr schön.«
    »Diese schreckliche Abhängigkeit von anderen, dieses Bedürfnis nach Liebe.«
    »Das ist nicht schrecklich.«
    »Oh doch, weil

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