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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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besaß keine Macht, nur deren Knospen, die Leere, wo sie erscheinen würde. Sie hatte schon gelernt, was es hieß, seinen Namen zu sagen und danach ganz natürlich eine Pause zu machen. Ihre Mutter mochte ihn, das wußte sie, und sie spürte in ihm eine Wärme, die nicht wie die ihres Vaters war, weniger vertraut, weniger selbstverständlich. Selbst wenn er sich mit Danny beschäftigte, wie jetzt, da er die Miniaturlandschaft betrachtete, die sie aus Fichtenzweigen und Steinen gebastelt hatte, waren seine Aufmerksamkeit und Gedanken nicht weit entfernt, da war sie sich sicher.
    Nedra erwachte langsam zu traumähnlichen federleichten Berührungen. Sie bemühte sich, an die Oberfläche zu kommen, wieder Herr ihrer Sinne zu werden. Es dauerte eine halbe Stunde. Die Nachmittagssonne fiel auf die Vorhänge, der Klang des Tages hatte sich verändert. Jivan hielt einen Arm hoch, wie um ihn bei Licht zu betrachten. Sie hielt ihren daneben. Sie starrten auf diese Arme mit einem vagen, gemeinsamen Interesse.
    »Deine Hand ist kleiner.«
    Ihre kam seiner wie zum Vergleich näher.
    »Du hast schönere Finger«, sagte er. Sie waren blaß, lang, zeigten die Knochen darunter.
    »Meine sind oben eckig.«
    »Meine sind auch eckig«, sagte sie.
    »Meine sind eckiger.«
    Lunch, Brandy, Kaffee. Sie liebte die Abgeschiedenheit dieses aufgegebenen Ladens, der auf einer Seite einer ansteigenden Straße lag. Sie war von einem Gefühl der Ruhe erfüllt, der Vollendung. Sie hatte Gutes empfangen, jetzt strahlte sie es aus wie ein Stein, den man am Abend für das Bett gewärmt hat. Sie verließ die Wohnung durch den Seiteneingang. Die Wurzeln der alten Bäume hatten den Gehweg aufgebrochen, riesige Bäume, die Stämme vernarbt wie Reptilien. Erst ein paar Blätter waren gefallen. Das Wetter war noch mild, die letzte Stunde des Sommers. Jivan war leicht, er war belanglos. Er schätzte die schnöden Embleme der amerikanischen Mittelschicht, die Schuhe, pastellfarbene Pullover, Strickkrawatten. Sie nahm sein Auto, wenn ihres kaputt war. Er schalt sie, weil sie so nachlässig damit umging, wegen der Zeitungen, die überall herumlagen, der Beulen, die an den Seiten auftauchten. Sie lächelte ihn an, sie entschuldigte sich. Sie machte, was sie wollte.
    Sein Ehrgeiz war es, ein wohlhabender Mann zu werden. Er hatte das Geschick dazu. Er war Eigentümer des Ladens, in dem er wohnte, er kaufte gerade ein Haus mit vier Hektar Land in der Nähe von New City. Er mehrte seinen Besitz still und geduldig wie eine Frau.
    »Erzähl uns etwas von deinem Haus«, sagte Nedra.
    »Ja, wo genau liegt es?« fragte Viri.
    Es sei nichts Besonderes, sagte Jivan, ein sehr kleines Haus, aber das Grundstück sei schön. Es sei wirklich eher ein Atelier als ein Haus. Allerdings gebe es einen Bach mit einer zerfallenen Steinbrücke.
    Sie aßen zu Abend. Sie tranken den Mirassou. Franca trank ein halbes Glas. Ihr Gesicht sah in dem weichen Licht außergewöhnlich weise aus, ihre Züge schienen unzerstörbar.
    »Besitz zu haben liegt dir im Blut, nicht wahr?« sagte Nedra.
    »Ich denke, es liegt an der Art, wie man erzogen wird. Aber im Blut... da könnte auch etwas sein. Wißt ihr, ich erinnere mich an meinen Vater«, sagte er. »Er sagte zu mir: ›Jivan, ich will, daß du mir drei Dinge versprichst.‹ Ich war nur ein kleiner Junge, und er sagte: ›Jivan, als allererstes versprich mir, daß du niemals spielen wirst. Niemals.‹ Ich mein, ich war sieben, acht Jahre alt. Und er sagte zu mir: Kein Glücksspiel, Junge. ›Wenn du unbedingt spielen mußt‹ , sagte er, ›dann nur mit dem König der Spieler. Du findest ihn auf der Straße, er ist nackt, er hat alles verloren, sogar seine Kleider.‹ ›Zweitens‹ - ich malte mir in Gedanken immer noch diesen König aus, diesen Bettler, aber mein Vater redete weiter. ›Zweitens, geh niemals zu Huren.‹ Entschuldige bitte, Franca. Ich war acht Jahre alt, ich wußte nicht mal, wovon wir überhaupt sprachen. ›Niemals‹ , sagte er. ›Versprich mir das. Aber falls du doch hingehen solltest, dann nur morgens; dann sind sie ungeschminkt, ohne Puder, dann siehst du, wie sie wirklich aussehen, verstehst du?‹ - ›Ja‹ , sagte ich. ›Ja, Vater.‹ - ›Gut‹ , sagte er, ›und die dritte Sache, hör genau zu: Streiche immer ein Haus, bevor du es verkaufst.‹«
    Er war dunkel, er war voller Geschichten, wie die Schlange aus der Sage; jeder weiße Zahn barg eine Geschichte, und jede Geschichte hundert weitere, sie steckten alle

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