Lichtjahre
ein Wedeln des fehlenden Schwanzes. »Na, hältst du ein Nickerchen?«
Er betrat das Haus, selbstbewußt, aber zurückhaltend, wie ein Verwandter, der sich nichts herausnehmen würde. Er hatte Achtung vor Viris Bildung, seiner Herkunft, vor den Leuten, die er kannte. Er war sorgsam gekleidet, trug die grauen Hosen, die es in großen Ladenketten zu kaufen gab, ein Halstuch, ein weißes Hemd.
»Hallo, Franca«, sagte er. Er küßte sie ganz natürlich. »Hallo, Dan.« Er lächelte, als er Viri die Hand entgegenstreckte. »Komm, gib mir den Wein«, sagte Viri. Er begutachtete das Etikett. »Mirassou. Kenn ich gar nicht.«
»Ein Freund von mir aus Kalifornien hat mir den genannt«, sagte Jivan. »Er hat ein Restaurant. Du weißt ja, wie Libanesen sind; wenn sie irgendwo hinkommen, suchen sie als erstes ein gutes Restaurant, und dann gehen sie nur noch dort und nirgendwo anders mehr hin. Daher kenn ich ihn. Ich war da immer essen. Als ich in Kalifornien war, bin ich jeden Abend da gewesen.«
»Es gibt Lamm zum Essen.«
»Zu Lamm müßte der sehr gut sein.«
»Möchtest du einen San Raphael?« fragte Nedra.
»Gerne«, sagte er. Er setzte sich. »Also«, sagte er zu Danny. »Was hast du so gemacht?« Er war weniger entspannt mit ihnen, wenn ihr Vater dabei war.
»Ich will dir was zeigen, was ich gerade mache«, sagte sie.
»Was denn?«
»Einen Wald.«
»Was für einen Wald?«
»Ich zeig ihn dir«, sagte sie und nahm ihn bei der Hand.
»Nein«, sagte Viri. »Bring ihn her.«
Beide Männer hatten fast die gleiche Größe, das gleiche Alter. Jivan hatte ein weniger sicheres Auftreten. Sie saßen da wie der Eigentümer eines großen Hauses und sein Gärtner. Der eine wartete, daß der andere ein Thema anschnitt, ihn zum Sprechen aufforderte.
»Es wird kalt«, bemerkte Viri.
»Ja, die Blätter beginnen sich zu färben«, stimmte Jivan zu. »Es ist nicht mehr lange hin. Ich mag den Winter«, sagte Viri. »Ich mag die Art, wie er über einen hereinbricht.«
»Wie geht's Perruchio?« fragte Franca.
»Ich bring ihm gerade bei, mit dem Kopf nach unten zu hängen.«
»Wie machst du das?«
»Wie eine Fledermaus«, fügte Jivan hinzu.
»Das würd ich gern sehen.«
»Wenn er's gelernt hat.«
Nedra brachte seinen Drink.
»Danke«, sagte er. »Möchtest du noch etwas Eis?«
»Nein, so ist es genau richtig.«
Nedra war immer sehr schnell freundlich, schnell und leicht oder überhaupt nicht. Jivan nippte an seinem Drink. Er wischte das Glas unten ab, bevor er es hinstellte. Er besaß eine Umzugs-und Lagerfirma, recht klein. Sein Lastwagen war tadellos. Die Decken waren fein säuberlich gestapelt, die Kotflügel ohne eine Beule.
Mittags, zweimal die Woche, manchmal öfter, lag sie in seinem Bett in dem ruhigen, nach hinten gelegenen Schlafzimmer. Auf dem Tisch neben ihrem Kopf waren zwei leere Gläser, ihre Armbänder, ihre Ringe. Sie trug nichts; ihre Finger, ihre Handgelenke waren nackt.
»Ich liebe diesen Drink«, sagte sie.
»Ja«, sagte Jivan. »Komisch, daß man ihn sonst nirgends bekommt.«
»Wir trinken fast nichts anderes.«
Mittags, die Sonne an ihrem höchsten Punkt, die Türen fest verschlossen. Sie war verloren, sie weinte. Er bewegte sich in demselben, gleichmäßigen Rhythmus, wie ein Monolog, wie das Knarren von Rudern. Ihre Schreie waren endlos, ihre Brüste hart. Sie schleuderte Laute aus sich heraus wie eine Stute, ein Hund, eine Frau, die um ihr Leben rennt. Ihr Haar lag offen ausgebreitet. Er veränderte seinen Rhythmus nicht.
»Viri, mach doch das Feuer an, ja?«
»Das kann ich doch machen«, bot Jivan an.
»Ich glaub, im Korb ist noch Kleinholz zum Anmachen«, sagte Viri.
Sie sah ihn weit über sich. Ihre Hände verkrampften sich im Laken. In drei, vier, fünf tiefen Stößen, die die großen Meridiane ihres Körpers zu durchlaufen schienen, ergoß er sich in sie wie ein umstürzendes Glas Wasser. Sie lagen schweigend da. Eine lange Zeit blieb er liegen, ohne sich zu bewegen, wie auf einem Pferd im Herbst, hielt sich an ihr fest, erschöpft, träumend. Sie fielen gemeinsam in einen tiefen, glieder-schweren Schlaf, aufgelöst. Ihre Brustwarzen waren größer, weicher, als wäre sie schwanger.
Das Feuer griff um sich, knisternd züngelte es zwischen den schweren Scheiten, Jivan kniete davor. Franca sah zu. Sie sagte nichts. Sie hatte schon das Wissen, wie eine Katze, wie jedes Tier; es pulsierte in ihrem Blut. Natürlich war sie noch ein Kind; ihre Blicke waren kurz, ohne Gewicht. Sie
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