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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Endlich war Ruhe eingekehrt. »Ein paar von den Kindern sind wirklich nett«, gab Nedra zu. »Ich mag Dana sehr gerne. Aber ist es nicht merkwürdig - oder glaubst du, das ist nur, weil sie unsere sind -, Franca und Danny sind anders. Sie haben etwas ganz Besonderes. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.«
    »Jivan hat die Hälfte des Textes falsch gelesen.«
    »Nein, das Puppenspiel war großartig.«
    »Er ist auf Skaramuz getreten - aus Versehen natürlich.«
    »Welcher ist das noch mal?«
    »Der, der sagt: Sie werden für meinen Kopf bezahlen, mein Herr. «
    »Ach, schade.«
    »Ich kann ihn wieder reparieren«, gestand Viri zu.
    Das Zimmer war still, übersät mit Papierschnipseln. Die Erlebnisse des Tages hatten bereits glänzende Konturen bekommen. Der Frosch lag in Einzelteilen auf dem Tisch, beschädigte Ware, zerstört durch unzählige Schläge. Sie würde bald das Abendessen machen. Etwas Leichtes: eine gekochte Kartoffel, kalten Braten, einen Rest Wein. Ihre Töchter würden benommen am Tisch sitzen, Ränder der Ermüdung unter den Augen. Nedra würde ein Bad nehmen. Wie diejenigen, die alles gegeben haben - Schauspieler, Athleten -, würden sie in jene Apathie sinken, die einen nur nach etwas Vollbrachtem erfüllt.

2
    »Bist du glücklich, Viri?« fragte sie. Sie steckten im Verkehr, versuchten, um fünf Uhr nachmittags quer durch die Stadt zu kommen. Der große mechanische Strom, von dem sie ein Teil waren, stockte an den Kreuzungen und wurde dann auf den großen Querstraßen fließender. Nedra lackierte sich die Nägel. An jeder roten Ampel gab sie ihm wortlos die Flasche und malte sich einen Nagel an.
    War er glücklich? Die Frage war so aufrichtig, so sanft. Er träumte von Dingen, die sich, befürchtete er, nie erfüllen würden. Er wog sein Leben oft ab. Aber er war noch jung, die Jahre streckten sich vor ihm wie endlose Ebenen. War er glücklich? Er nahm das offene Fläschchen. Sie tunkte vorsichtig den Pinsel ein, konzentriert auf ihr Tun. Sie hatte, wie er wußte, einen wachen Instinkt. Sie hatte die ebenmäßigen Zähne des Geschlechts, das Fäden durchbeißt, Zähne, die so sauber schneiden wie ein Rasiermesser. Ihre ganze Kraft schien sich in ihrer Gelassenheit zu konzentrieren, ihrem fragenden Blick. Er räusperte sich.
    »Ja, ich glaube, ich bin glücklich.«
    Schweigen. Die Wagen vor ihnen ruckten wieder an. Sie nahm das Fläschchen, damit er fahren konnte.
    »Aber ist das nicht eigentlich eine blöde Idee?« fragte sie.
    »Wenn man genau drüber nachdenkt, mein ich?«
    »Das Glück?«
    »Weißt du, was Krishnamurti sagt? Ob bewußt oder unbewußt, wir sind alle total egoistisch, und solange wir kriegen, was wir wollen, glauben wir, daß alles in Ordung ist.«
    »Kriegen, was wir wollen... aber ist das Glück?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß nicht zu kriegen, was man will, einen auf jeden Fall unglücklich macht.«
    »Darüber müßte ich erst mal nachdenken«, sagte er. »Nie zu kriegen, was man will, das könnte einen unglücklich machen, aber solange die Möglichkeit besteht, es zu kriegen... « Sie mußten nur die Zehnte Avenue erreichen, dann würde die Straße leer sein, frei vor ihnen liegen wie an einem Wochende; sie würden ungehindert und schnell auf die Autobahn kommen, nach Norden rasen. Die grauen, erschöpften Menschenmengen liefen an Zeitungskiosken vorbei, an Schlüsselläden, Banken. Sie saßen zusammengesunken an Tischen im Automatenrestaurant und aßen schweigend. Einbeinige Tauben, zerbeulte Autos, die zugezogenen Fenster endloser Apartments und über allem ein Herbsthimmel, glatt wie ein Kuppeldach.
    »Es ist schwer, darüber nachzudenken«, sagte sie. »Vor allem, wenn er auch noch sagt, daß Denken einen nie zur Wahrheit führen kann.«
    »Was kann das schon? Das ist die eigentliche Frage.«
    »Gedanken verändern sich andauernd. Sie sind wie ein Strom, umkreisen Dinge, treiben. Denken ist Chaos, sagt er.«
    »Aber was ist die Alternative?«
    »Das ist sehr kompliziert«, stimmte sie zu. »Es ist eine andere Art, die Dinge zu betrachten. Denkst du manchmal, du würdest gerne eine neue Art zu leben finden?«
    »Es kommt darauf an, was du unter neuer Art verstehst. Ja, manchmal schon.«
    Es war der Tag, an dem Monica starb, das einbeinige kleine Mädchen. Die Chirurgen hatten nicht genug herausgeschnitten, sie konnten nicht mehr herausschneiden. Die Schmerzen waren wiedergekommen, unsichtbar, als wäre alles umsonst gewesen. Dieser Schmerz war das

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