Lichtjahre
Häuschen. »Komm, guck's dir an!« riefen sie.
Sie zogen ihn bei der Hand zu dem Solarium mit dem Kiesboden. Die Hühner flüchteten in die Ecken, dann an den Wänden entlang. Schließlich bekam Danny eins zu fassen. »Schau ihn dir an, Papa, ist er nicht süß?«
Die Henne saß panisch in ihren Armen, ihre kleinen Augen zwinkerten.
»Das heißt sie«, sagte Viri.
»Willst du wissen, wie sie heißen?« fragte Franca.
Er nickte abwesend.
»Papa?«
»Ja«, sagte er. »Wo habt ihr die her?«
»Das ist Janet... «
»Janet.«
»Dorothy.«
»Ja.«
»Und das da ist Madame Nicolai.«
»Die da...«
»Sie ist älter als die andern«, erklärte Franca.
Er saß auf der Stufe. Bereits jetzt lag ein leicht säuerlicher Geruch in dem Raum. Ein Federflaum schwebte geheimnisvoll herab. Madame Nicolai saß zusammengesackt in einem großen, warmen Haufen Federn, braun, beige, immer heller werdend, bis zu einem zarten Sandton.
»Sie ist klüger als die anderen«, sagte er.
»Oh ja, sie ist sehr klug.«
»Eine Weise unter den Hennen. Wann fangen sie mit dem Eierlegen an?«
»Sofort.«
»Sind sie nicht ein bißchen jung dafür?« Er saß leer auf der Stufe und beobachtete ihre bedächtigen Bewegungen, das Rucken ihrer Köpfe. »Na ja, wenn sie keine Eier legen, gibt es ja noch andere Dinge. Hühnchen in Rotwein...«
»Papa!«
»Was?«
»Das würdest du nicht tun.«
»Sie würden das schon verstehen.«
»Nein, würden sie nicht.«
»Madame Nicolai würde es verstehen«, sagte er. Sie stand jetzt abseits von den anderen und sah ihn an. Ihr Kopf war im Profil, ein starres schwarzes Auge, von einem bernstein-farbenen Kreis umrandet.
»Sie ist eine Frau von Welt«, sagte er. »Seht euch ihre Brust an, seht euch den ausdrucksvollen Schnabel an. «
»Wie, ausdrucksvoll?«
»Sie kennt das Leben«, sagte er. »Sie weiß, was es heißt, ein Huhn zu sein.«
»Magst du sie am liebsten?«
Er versuchte, sie zu seiner halbgeschlossenen Hand zu locken.
»Papa?«
»Ich denke schon«, murmelte er. »Ja. Sie ist eine Henne unter Hennen. Der Hennen Henne«, sagte er.
Sie hängten sich voller Glück und Hingabe an seine Arme. Er saß da. Die Hühner glucksten, gaben kleine weiche Laute von sich wie kochendes Wasser. Madame Nicolai hatte sich mittlerweile vorsichtig abgewandt; er fuhr fort, sie zu preisen, dieser Ehebrecher, dieser hilflose Mann.
5
Franca war zwölf. Wenn sie die schmalen Kleider trug, die dem noch hüftlosen kindlichen Körper passen, konnte man schwer sagen, wie alt sie war. Sie hatte einen vollkommenen Körper, aber noch ohne den leisesten Ansatz von Brüsten. Ihre Wangen waren kühl. Ihr Ausdruck war der einer Frau.
Sie dachte sich Geschichten aus und illustrierte sie mit Zeichnungen. Margot war ein Elefant. ]uan war eine Schnecke. Margot liebte ]uan sehr, und Juan war ganz verrückt nach ihr. Sie saßen immer beisammen und sahen sich bloß an. Eines Tages sagte sie zu ihm: Juan.
Ja, Margot.
Juan, du bist nicht sehr intelligent.
Bin ich nicht?
Du hast nichts von der Welt gesehen.
Nein, sagte Juan, ich habe kein Flugzeug ...
Der Schriftsteller als Kind, feierlich, heiter. Viri machte ein Foto von ihr mit dem Kaninchen auf dem Arm, eine weiße Pfote lag auf ihrem Handgelenk. »Nicht bewegen«, flüsterte er.
Er trat näher, stellte die Schärfe ein. Das Kaninchen war ruhig, regungslos. Seine schwarzen und glänzenden Augen machten nicht den Eindruck, als würden sie etwas sehen; sie waren hypnotisiert, starr. Seine Ohren lagen auf seinem Rücken wie verwelkter. Sellerie. Nur seine zitternde Nase zeigte Leben. Langsam neigte Franca ihr Gesicht zu ihm herab, legte die Lippen an sein dichtes Fell. Viri machte das Foto.
Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, wie ihre Mutter. Sie wußte, wie man Geschichten erzählte. Die Begabung hatte sich früh gezeigt. Entweder war es ein wirkliches Talent oder nur Frühreife, die wieder verblassen würde. Sie schrieb an einer Geschichte mit dem Titel Die Königin der Federn. Sie saß auf der Eingangsstufe und beobachtete die Hühner. Das Haus war still. Sie spürten ihre Nähe und waren gleichzeitig unfähig, ihr Interesse aufrechtzuerhalten. Sie ließen sich ablenken, sie suchten nach vereinzelten Körnern, während Franca sich geduldig ihre Geheimnisse aneignete. Plötzlich richteten sie ihre Köpfe auf. Sie horchten; jemand kam.
Es war Danny. Hadji war bei ihr. Sowie sie die Tür öffnete, begann er zu bellen.
»Meine Güte, Danny.«
»Was machst du denn
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