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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Terzieff ist? Ich schreibe ein Stück für Laurent Terzieff. Er ist der größte Schauspieler, der in den letzten zwanzig Jahren aufgetaucht ist.«
    »Terzieff... «
    »Ich gehe zu seinen Proben, niemand weiß, daß ich da bin. Ich sitze in der hintersten Reihe oder ganz an der Seite. Bislang habe ich keinen einzigen Fehler an ihm entdeckt, keinen einzigen Makel.«
    Er war begierig zu reden. Für das Gespräch mit bestimmten Menschen sind wir geboren, wir müssen nichts vorbereiten, die Sätze kommen wie. von selbst, alles ist einfach da. Er fragte nach Theateraufführungen, die sie gesehen hatte. Er sagte ihr, wer die großen Autoren waren, er nannte die unbekannten Meisterwerke ihrer Zeit.

    »Viri«, sagte sie. »Ich habe einen ganz phantastischen Mann kennengelernt.«
    »Ja? Wen?«
    »Du kennst ihn nicht«, sagte sie. »Er ist Schriftsteller. Er ist Franzose.«
    »Franzose...«
    Einen Abend die Woche - als Entschuldigung nannte er Arbeit im Büro -, manchmal auch zwei, wann immer er konnte, blieb er bis spät in der Stadt. Langsam teilte sein Leben sich. Er schien unverändert, genau derselbe, aber das ist häufig alles, was man sieht. Die Erschütterung bleibt verborgen, sie muß einen gewissen Grad erreichen, bevor sie die Oberfläche durchbricht, bevor die Säulen nachgeben, die Fassaden bröckeln. Seine Leidenschaft für Kaya war wie eine Wunde. Er wollte sie jede Minute ansehen, berühren. Er wollte sie sprechen, vor ihr auf die Knie fallen, ihre Beine umarmen.
    Er saß beim Feuer. Zwei gußeiserne Figuren, die Söldner darstellten, hielten die brennenden Scheite, ihnen zu Füßen die glühenden Kohlen. Nedra saß mit untergeschlagenen Beinen in einem Sessel.
    »Viri«, sagte sie. »Du mußt unbedingt dieses Buch lesen. Wenn ich fertig bin, geb ich es dir.«
    Ein Buch mit malvenfarbenem Schnitt, der Titel in verblichenen Lettern. Sie begann ihm vorzulesen, während das Holz im Kamin leise knackte wie ferne Schüsse. »Wie heißt es?« sagte er schließlich. »Das Irdische Paradies.«
    Er fühlte sich schwach. Die Worte machten ihn hilflos; sie schienen die Bilder zu beschreiben, die ihn überwältigten, die Stille des geliehenen Apartments, in dem sie schlief, die Breite des Betts, ihre makellosen, trägen Glieder.

    Am Morgen verließ er früh das Haus. Die Sonne trat weiß hinter einem Dunstschleier hervor, der Fluß war fahl. Erfuhr die langen weichen Kurven, die Geraden, blind vor fiebriger Erwartung. Die große Brücke glänzte im Morgenlicht; dahinter lag die Stadt, weit wie das Meer, mit ihren Zügen und Märkten, ihren Zeitungen, Bäumen. Er dachte sich Zeilen aus, redete mit ihr, flüsterte ihr ins Ohr, ich liebe dich wie die Erde, wie weiße Gebäude, Fotografien, den Mittag... ich bete dich an, sagte er. Autos trieben neben ihm her. Er betrachtete sein Gesicht im Rückspiegel; ja, es war gut, es war ernst.
    Er redete nicht mehr. Die Straßen der Stadt lagen verlasse da. In ihrer Reglosigkeit und Leere zeugten sie von der ergangenen Nacht, sie bekannten sich zu ihr wie ein müde s Gesicht. Er begann unruhig zu werden. Es war, als wäre er in einem Vorzimmer, das zu Räumen führte, in denen et s Schreckliches geschehen war; er konnte es riechen wie Tiere das Schlacht-haus. Plötzlich bekam er Angst. Er würde die Wohnung leer vorfinden. Es war, als hätte er vor einem Gebäude ihren Schuh liegen sehen; er konnte nicht ertragen, sich mehr vorzustellen.
    Ein weißer Wintermorgen. Die Straße war kalt. Er schloß die Haustür auf und lief die Treppen hinauf. Vor ihrer Wohnung klopfte er leise an, ohne zu wissen, warum.
    »Kaya?«
    Nichts. Er klopfte wieder, vorsichtig, mehrmals. Plötzlich, als hätte ihn ein Schlag getroffen, verstand er. Es war so, sie hatte die Nacht woanders verbracht.
    »Kaya?«
    Er schloß die Tür auf und öffnete sie. Sie wurde abrupt von der Kette aufgefangen.
    »Wer ist da?« sagte sie.
    Er konnte sie nur erahnen, mehr nicht. »Viri.« Es folgte ein Schweigen. »Mach die Tür auf«, sagte er.
    »Nein.«
    »Was ist los?«
    »Es ist jemand hier.«
    Einen Moment lang wußte er nicht, was er tun sollte, er konnte nicht denken. Es war früher Morgen. Er war krank, er starb. Die Wände, die Teppiche tranken sein Leben.
    »Kaya«, flehte er.
    »Ich kann nicht.«
    Er war wie gelähmt, weil er unschuldig war. Nichts hatte sich verändert, alles auf der Welt war noch an seinem Platz, und doch konnte er nichts wiedererkennen, sein Leben hatte sich aufgelöst. Ihre Nacktheit, späte

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