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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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er.
    »Was?«
    »Sie ist phantastisch!«
    »Probier sie mit Senf«, sagte sie.
    Sie hatten Meursault, französischen Käse, Pasteten von Leonard's.
    »Das Essen wird wunderbar«, sagte er. Er dachte einen Moment lang nach. »Vielleicht müssen wir uns ja gar nicht unterhalten.«
    Zwei Wochen später hatten sie einen Bauherren von Viri zu Gast, der ein paar Backsteinhäuser und Land in der Nähe von Croton gekauft hatte und sie in einen zusammenhängenden Komplex umwandeln wollte. Die ursprünglichen Strukturen sollten in ein größeres, eleganteres Ganzes eingegliedert werden, ähnlich antiken Skulpturen, um die man die Wände von Villen herumgebaut hatte. Sein Name war S. Michael Warner; er war auch als Queen Mab bekannt.
    »Er bringt Bill Haie mit.«
    »Oh Gott«, sagte Nedra.
    »Du kennst ihn doch gar nicht.«
    »Das stimmt. Und schlimmer als Michael kann er ja nicht sein, oder?«
    »Nedra, ich hab einen Auftrag von ihm.«
    »Ach, du weißt doch, wie sehr ich ihn mag.«
    Ein ganzer Tag wurde für Vorbereitungen geopfert. Sie ging stundenlang in ihren Lieblingsgeschäften einkaufen. Zum Abend war das Haus fertig. Unter den Lampen waren Blumen arrangiert, die Vorhänge waren zugezogen, das Feuer prasselte hinter den eisernen Knien der Kaminsoldaten. Nedra trug ein langes Pikeekleid, dunkelblau und rosa. Auf ihrem Gürtel waren kleine Silberglöckchen angebracht, ihr Haar hatte sie hochgesteckt, ihr Nacken war bloß.
    Ihr Gesicht war kühl und strahlend. Ihr Lachen war umwerfend, es war wie Applaus.
    Michael Warner war tadellos gekleidet, ein Mann von fünfundvierzig, mit der Gelassenheit und dem Lächeln eines Menschen, der jeden Fehler entdeckt. Er war von Nedra bezaubert. Er sah in ihr eine Frau, die ihn nie enttäuschen würde. Sie würde niemals banal oder albern sein.
    »Das ist Bill Haie.«
    »Hallo, Bill«, sagte sie mit warmer Stimme.
    Eine merkwürdige Wintergesellschaft. Dr. Reinhart und seine Frau waren verspätet, kamen aber gerade im richtigen Moment. Sie waren wie die letzten Teilnehmer eines Spiels, mit dem man auf sie gewartet hatte. Sie setzten sich, als wüßten sie genau, was von ihnen erwartet wurde. Reinhart hatte wundervolle Manieren. Diese Frau war seine dritte. »Sie sind Doktor der Medizin?« versicherte sich Michael. »Ja.« Er arbeite allerdings in der Forschung, erklärte er. Na ja, man könne es Forschung nennen. Er schrieb Bücher.
    »Wie Tschechow«, sagte seine Frau. Sie hatte einen leichten Akzent.
    »Na ja, nicht ganz.«
    »Tschechow war aber Arzt, oder nicht?« sagte Michael.
    »Es gibt einige - die Schriftsteller geworden sind, meine ich. Natürlich würde ich mich nicht dazuzählen. Ich schreibe nur eine Biographie.«
    »Wirklich?« sagte Bill. »Ich liebe Biographien.«
    »Über wen schreiben Sie?« fragte Nedra.
    »Es ist im Grunde eine ... es ist eine mehrfache Biographie«, sagte Reinhart. Er nahm dankbar einen Drink entgegen.
    »Danke. Es geht um Kinder berühmter Männer.«
    »Wie interessant. «
    »Dickens, Mozart, Karl Marx.« Er nippte an seinem Drink wie ein Patient an einem Glas Saft, ein gebildeter Patient, gebrechlich, resigniert. »Sogar ihre Namen sind faszinierend. Plorn, so hieß Dickens letztes Kind. Stanwix, das war der Sohn von Melville.«
    »Und was ist aus ihnen geworden?« fragte Nedra.
    »Na ja, da gibt's keine Regel. Aber vielleicht kann man sagen, daß es unter ihnen mehr unglückliche Schicksale gibt als bei anderen Kindern, mehr Kummer. «
    »Somerset Maugham war Arzt«, sagte seine Frau. »Und Céline.«
    »Ja, meine Liebe, das ist richtig«, sagte Reinhart.
    »Ein schrecklicher Mann«, sagte Michael. »Aber ein großer Schrifsteller.«
    »Céline und groß? Was meinen Sie mit groß?«
    Reinhart zögerte. »Ich weiß nicht. Größe ist etwas, was man von mehreren Seiten betrachten kann«, sagte er. »Es ist natürlich einmal die Apotheose, der Mensch, der sich zu seinen höchsten Leistungen aufschwingt, aber es kann, in gewisser Weise dem Wahnsinn ähnlich, auch eine bestimmte Art von Instabilität sein, ein Fehler - in den meisten Fällen ein segensreicher Fehler, eine Anomalie, ein Unfall.«
    »Na ja, viele große Männer sind exzentrisch«, sagte Viri, »sogar engstirnig.«
    »Nicht so sehr engstirnig als ungeduldig, intensiv.«
    »Was ich wirklich gerne wissen würde«, sagte Nedra, »ist Ruhm ein unabdingbarer Bestandteil von Größe?«
    »Das ist eine schwierige Frage«, antwortete Reinhart schließlich. »Die Antwort ist wahrscheinlich nein,

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