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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Schauspieler.«
    »Oh, doch, natürlich.«
    »Na ja. Wenn er kommt, kommt er, wenn nicht, nicht.«
    »Er trinkt nämlich«, sagte Franca.
    Ach.«
    »Und ich kann mir denken«, sagte Nedra, »daß er an einem Morgen wie diesem schon früh damit angefangen hat.«
    »Wie traurig«, sagte Rae.
    »Ich versteh das immer besser.«
    Rae war ein dunkler Typ, sie hatte ein hageres, eindringliches Gesicht. Ein Gesicht, das aussah, als hätte es einen Unfall gehabt; die Gesichtshälften widersprachen sich irgendwie. Ihr Haar war kurz geschnitten. Sie hatte ein verlegenes Lächeln.
    Rae und Larry hatten keine Kinder. Er arbeitete für eine Spielzeugfvrma. Seine Haut war weiß. Er hatte die Resignation eines Menschen, der viele Schwierigkeiten durchlebt hat, die Ruhe eines Süchtigen. Er ging mit Viri los, um die Eier zu verstecken.
    »Was hast du so gemacht?« fragte Nedra. Sie wärmte ihr Gesicht an der Tasse.
    »Ich weiß nicht«, sagte Rae. »Du kannst von Glück sagen, daß du nicht in der Stadt wohnst. Ich steh auf, mach Frühstück, die Fensterbretter sind vollkommen verdreckt, ich brauch bestimmt zwei Stunden am Tag, um alles sauberzuhalten. Gestern hab ich meiner Mutter einen Brief geschrieben. Ich denke, dafür habe ich fast den ganzen Tag gebraucht. Ich mußte zur Post; ich hatte keine Briefmarken. Ich bin zur Reinigung gegangen. Gekocht habe ich abends nicht. Wir sind essen gegangen. Was mache ich also?« Sie lächelte hilflos, wobei ihre verfärbten Zähne zu sehen waren. Draußen versteckten sie die Eier im welken Gras, zwischen Blättern, unter Steinen.
    »Versteck sie so, daß man sie nicht so leicht findet«, rief Viri.
    »Versteckst du auch welche in den Ästen?«
    »Aber sicher. Ein paar davon sollten sie überhaupt nie finden.«
    »Dein Hut ist toll«, sagte Larry, als sie fertig waren.
    »Nedra hat ihn gemacht.«
    »Ich hab eben ein paar Fotos von dir damit gemacht.«
    »Laß mich eins von dir machen.«
    »Später«, sagte Larry. Sie gingen langsam zurück. »Am Haus.«
    Es ragte über ihnen auf, vom Licht überflutet, das Giebeldach mit seinen Schornsteinen an den Seiten, dem vom Regen verwaschenen Grau des Schiefers. Es war vom Wetter gezeichnet wie eine große Scheune, wie ein Schiff, das den Ozean überquert hat. Mäuse lebten am Steinfundament, Unkraut wuchs an den Seiten.
    Die Weite des Tages umgab sie. Die Erde war warm, der Fluß glitzerte in der Sonne.
    »Ein schöner Tag«, sagte Larry. Er hatte noch drei oder vier kleine Schokoladeneier übrig. Er kehrte dem Haus den Rücken und verstreute sie sanft auf dem Rasen.
    »Keine Sorge, der Hund wird sie schon finden«, sagte Viri. Eve war angekommen. Sie stand in der Küche und trank ein Glas Wein. Ihr Auto, mit seinen verrosteten Kotflügeln, hatte sie am Rand der Einfahrt geparkt, mit den Reifen halb in dem kleinen Abflußgraben.
    »Hallo, Viri«, lächelte sie.
    Sie sah älter aus. Innerhalb eines einzigen Jahres hatte sie ihre Jugend hinter sich gelassen. Um ihre Augen hatte sie Falten bekommen, auf ihrer Haut zeigten sich winzige Poren. Dennoch blühte sie bei bestimmten Anlässen auf, es gab Momente, da sie wunderschön war, ja, mehr noch, unvergeßlich, zur rechten Stunde, am rechten Ort. Und wenn sie verblaßte, so trat ihr Sohn allmählich ins Licht. Die Konturen seines Gesichts zeigten Ansätze des Mannes, der Anthony einmal sein würde. Er sah sehr gut aus, ja, in seiner unauslotbaren Stille war er manchmal am Rand der Schönheit. Er stand neben Franca. Larry machte ein Foto von ihnen, zwei junge Gesichter, die sehr verschieden, aber auf dieselbe Weise privilegiert waren.
    »Er wird ein Herz nach dem anderen brechen«, sagte Nedra.
    Rae pflichtete ihr bei. Sie beobachtete ihn durch das Fenster, sie fühlte sich zu ihm gezogen. Er war zu alt, als daß sie ihn sich als ihren Sohn vorstellen konnte, er war schon ein junger Mann; die Eigenschaften, die zu Stolz, zu Ungeduld werden würden, waren gesät und entwickelten sich Tag für Tag. Booth Paum traf mit seiner Tochter ein. Seit den Tagen von Maxwell Anderson hatte er solche Auftritte geübt. Wie alle Schauspieler konnte er lange Reden wie Banner entrollen. Er trug sie mit drohender Intensität vor; er konnte Leute nachahmen, er konnte tanzen.
    »Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät«, sagte er. Er stellte die Freundin vor, die seine Tochter mitgebracht hatte.
    Sie waren vier Mädchen und ein Junge. Viri begann die Regeln zu erklären. »Es gibt drei Sorten von Eiern«, sagte er. »Es gibt

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