Lichtjahre
wie tot, zwei Frauen Mitte dreißig im Gespräch.
»Neil ist krank. Er hat Diabetes«, sagte Eve.
»Diabetes?«
»Das haben sie gesagt.«
»Ist das nicht erblich?«
Sie saßen an einem Tisch nah am Eingang. Der Kellner beobachtete sie von der Theke aus. Er war verliebt in sie, in ihr Nichtstun, die leisen Stimmen, die Vertraulichkeiten, die sie so beschäftigten.
»Ich hoffe nur, daß mein Sohn es nicht bekommt«, sagte Eve. »Neil ist total runtergekommen. Ich bin überrascht, daß das alles ist, was er hat. «
»Lebt er noch mit dieser Frau zusammen, wie heißt sie gleich?«
»Soviel ich weiß schon. Sie ist so dumm, sie wüßte sowieso nicht, wie sie ihm helfen sollte. Sie hat nur eine einzige... ich weiß nicht, wie ich es nennen soll... Qualität.« »Im Bett, meinst du?«
»Sie ist zweiundzwanzig, das ist ihre Qualität. Armer Neil, er sieht aus wie eine Qualle. Seine Zähne verfaulen ihm im Mund.«
»Er sieht fürchterlich aus.«
»Ich glaub, er könnte nicht mal mehr eine Frau in einer stockdusteren Bar aufgabeln. Es geschieht ihm recht, aber für Anthony ist es schrecklich, ihn in dem Zustand zu sehen. Es ist wirklich traurig. Und er mag seinen Vater, schon immer. Sie waren sich immer nahe.«
»Es ist so viel einfacher, wenn man zu zweit ist«, sagte Nedra. »Ich hätte meine Kinder nicht alleine großziehen können. Ich mein, natürlich hätt ich's gekonnt, aber ich bemerke Eigenschaften an ihnen, die nicht von mir kommen oder eine Reaktion gegen mich sind, sondern von Viri. Und überhaupt glaub ich, daß Mädchen eine männliche Bezugsperson brauchen. Es erweckt sie in bestimmter Hinsicht zum Leben.«
»Das gilt für Jungen genauso.«
»Wahrscheinlich. «
»Warum teilst du dir Viri nicht mit mir?« fragte Eve. Sie lachte. »Ich hab nur Spaß gemacht.«
»Ihn teilen?« sagte Nedra. »Ich weiß nicht. Darüber hab ich nie nachgedacht.«
»Ich hab das nicht ernst gemeint.«
»Ich glaube nicht, daß das funktionieren würde, nicht mit Viri. Aber Arnaud. .. «
»Du hast recht«, sagte Eve.
»Ganz bestimmt sogar. Wenn ich genau drüber nachdenke, wäre er mit zwei Frauen sogar noch besser.«
»Aber du bist viel schicker als ich.«
»Ich finde, du bist verständnisvoller.«
»Das glaube ich nicht.«
»Doch«, sagte Nedra. »Und so natürlich dabei. Ich glaube, am Ende würde er dich bestimmt mehr lieben. Ja, ganz sicher.«
Sie traten aus der schmalen Eingangstür, ohne Eile, voller Zuneigung füreinander. Der Verkehr auf der Lexington Avenue war endlos, Autos aus den Vororten, Taxis, schwarze Limousinen, die über die Fahrspuren glitten. Sie schlenderten dahin. Die Straßen waren wie Flüsse, die von Nebenflüssen gespeist wurden, auf denen sie flanierten und in Schaufenster schauten, die ihr Spiegelbild zurückwarfen. Nedra zog es zu bestimmten Läden, in denen sie schon einmal etwas gekauft hatte, Tischtücher, Parfum. Manchmal traf sie der Blick einer Verkäuferin, gelangweilt, allein, über einer Auslage von Büchern oder bei einem Weinstand. Sie hatte es nicht eilig; sie lächelte nicht. Es war die Intelligenz in ihrem Gesicht, die ihnen auffiel, die Anmut. Sie war jemand, deren Gesicht sie schon einmal gesehen hatten, jemand, der alles besaß - Zeit, Freunde, die Stunden des Tages waren wie ein Kartenspiel. Viri ging auf denselben Straßen, aber allein. Der Aufstieg des einen ist der Fall des anderen. Sein Kopf war voll von Einzelheiten, Terminen; in der Sonne wirkte seine Haut trocken.
Sie fuhr im frühen Nachmittagsverkehr nach Hause, zwischen den Autos von Frauen, die vom Arzt kamen, und Männern, deren Arbeit zu Ende war. Die Bäume begannen sich zu färben.
Fünf Uhr nachmittags. Sie ordnete sich vor dem Spiegel in ihrem Zimmer das Haar, ihre Hände waren blaß. Sie strich sich über die Wangen, den Mund, als wollte sie die Spuren eines Erlebnisses wegwischen. Es hatte kein Erlebnis gegeben, sie bereitete sich auf eines vor: einen Telefonanruf, ein Musikstück, eine halbe Stunde lesen. Es war das Telefon. Die Stimme von Mrs. Dahlander, zittrig, gefaßt.
»Könnten Sie ins Krankenhaus kommen?« fragte sie. »Mein Mann ist nicht da. Leslie ist vom Pferd gefallen.«
Es war eine Stunde zuvor passiert. Mrs. Dahlanders Tochter war allein ausgeritten. Niemand sah den Galopp, das Straucheln, den Moment, als sie - in einer Haltung, als wäre es ein Witz -, alle viere von sich gestreckt, durch die Luft flog und dann aufschlug und still dalag, während ihr Pferd stehenblieb und zu
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