Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
Vom Netzwerk:
aber praktisch gesehen muß es ja irgendeinen Konsens geben. Früher oder später muß Größe bestätigt werden.«
    »Aber irgend etwas fehlt da.«
    »Vielleicht«, räumte er ein.
    »Ich glaube, Nedra meint, daß man über Größe, wie über Tugend, nicht reden muß, damit sie existiert«, warf Viri ein.
    »Es wäre schön, wenn man das glauben könnte«, sagte Reinhart.
    Seine Frau hatte die ganze Zeit über Michael beobachtet. Plötzlich ergriff sie das Wort. »Sie haben recht«, sagte sie abrupt. »Céline war ein absolutes Ekel.«
    Abende, bei denen die Unterhaltung leiser wird, zur Decke aufsteigt und sich dort wie Rauch ansammelt. Die Tafelfreuden, das Wohlbefinden der darum Sitzenden. Hier, in einem Haus auf dem Land, behaglich, zurückgezogen, wußte Viri auf einmal, während er den Wein ausschenkte, wie dumm seine Aussage gewesen war, reines Wunschdenken. Reinhart hatte recht: Ruhm war nicht bloß ein Teil von Größe, er war mehr. Er war der Beweis, der einzige Prüfstein. Der Rest bedeutete nichts, war vergeblich. Wer berühmt ist, kann nicht scheitern; er hat bereits gesiegt. Vor dem Kamin erzählte Ada Reinhart Michael, woher aus Deutschland sie kam. Sie hatte in Berlin gelebt. Sie saßen abseits von den anderen. Im hinteren Zimmer konnte man das weiße Haar ihres Mannes sehen, die schmale, zarte Hand, mit der er den Kaffee umrührte.
    »Damals habe ich eine Menge gewußt«, sagte sie.
    »Wirklich? Was meinen Sie damit?«
    Sie antwortete nicht sofort. Sie war viel jünger als ihr Mann.
    »Wollen Sie, daß ich es Ihnen erzähle?« sagte sie. »Wenn ich bloß gemacht hätte, was ich machen wollte.«
    »Was Sie machen wollten?«
    »Anstelle von dem, was ich gemacht habe.«
    »Das trifft doch für jeden zu, oder nicht?«
    »Wenn ich mich in einen Mann verliebe, dann in seinen Verstand, seine geistigen Fähigkeiten.«
    »Bei mir ist es genauso.«
    »Natürlich ist man von einem Körper oder einem Blick angezogen... «
    Nedra konnte sie beim Kamin miteinander reden sehen. Am Tisch hatte Mrs. Reinhart fast nichts gesagt. Jetzt schien sie leidenschaftlich ins Gespräch vertieft.
    »Ich bin doch nicht unattraktiv, oder?«
    »Ganz im Gegenteil«, sagte Michael.
    »Sie finden mich nicht unattraktiv?«
    Sie bemerkte kaum, daß die anderen ins Zimmer kamen. Sie redete weiter.
    »Wovon versuchst du Mr. Warner zu überzeugen?« fragte Reinhart leichthin.
    »Wie? Nichts, Darling«, sagte sie.
    Nachdem die Reinharts gegangen waren, lehnte sich Michael zurück und lächelte. »Faszinierend. Wißt ihr, was sie gesagt hat?« fragte er.
    »Erzähl es uns«, sagte Bill.
    »Das etwas in ihrem Leben fehlt.«
    »Wirklich?«
    Michael hielt inne. »Finden Sie, daß ich attraktiv bin?« ahmte er sie mit rauchiger Stimme nach.
    »Darling!«
    »Doch. Und noch mehr. Glaubt ihr, ich hätte sie ernst nehmen sollen?« sagte er.
    »Das hätte ich wirklich gern gesehen.«
    Michael begann, ein Stück Obst zu schälen, vorsichtig darauf bedacht, sich nicht die Finger schmutzig zu machen.
    Das Feuer erlosch in der Asche, Zigaretten hatten ihren Geschmack verloren.
    Abende der Ehe, gemeinsame Abende, das Haus ist endlich still, die Kissen, auf denen Leute gesessen haben, sind eingedrückt, die Asche warm. Abende, die um zwei Uhr endeten, draußen fällt Schnee, der letzte Gast ist gegangen. Die Teller blieben unabgewaschen stehen, das Bett war eiskalt.
    »Reinhart ist ein netter Mann.«
    »Er hat nichts Kleinliches an sich«, sagte Viri.
    »Ich glaube, sein Buch wird interessant werden.«
    »Was wird aus den Kindern - ja, das möchte man gerne wissen.«
    Sie lagen im Dunkeln wie zwei Opfer. Sie hatten einander nichts zu geben, sie waren durch eine reine, unerklärliche Liebe gebunden.
    Er schlief, sie wußte es, ohne hinzusehen. Er schlief wie ein Kind, lautlos, tief. Sein schütteres Haar war wirr, seine Hand lag ausgestreckt und entspannt da. Wären sie ein anderes Paar gewesen, hätte sie sie anziehend gefunden, sie hätte sie sogar geliebt - so unglücklich, wie sie waren.

12
    In sechs Jahren würde sie vierzig sein. Sie sah es aus der Ferne, wie ein Riff, das weiße Aufblitzen der Gefahr. Der Gedanke an das Alter machte ihr angst, sie konnte es sich zu leicht vorstellen, sie suchte täglich nach den Anzeichen, zuerst in dem harten Licht am Fenster, dann, den Kopf leicht zur Seite drehend, um ihm etwas von der Strenge zu nehmen, trat sie ein wenig zurück und sagte sich, daß die Leute nicht näher herankämen.
    In den fernen Städten

Weitere Kostenlose Bücher