Lichtjahre
vom Boden. »Eine deiner Lieblingssuppen«, sagte sie. »Riechst du sie nicht?«
Die Luft war erfüllt vom Geruch der Gräser, der trockenen Erde, vom schwachen Duft der Blumen.
»Nein«, gestand er.
»Deine Nase ist dein schwächster Punkt. Es ist cresson.«
»Hast du die wirklich gemacht?«
Sie wischte sich die Knie ab. »Nur für dich.«
Sie ging hinein. Franca saß auf der Couch und las. Die Löffel waren in der Schublade. Das reine Licht des Abends erfüllte das Haus.
»Du bist ein richtiger Glückspilz«, sagte Arnaud. Vom Haus aus sahen sie regungslos aus, wie gestellt. Die Lagen des
Laubes wogten über ihnen. Eine Ecke des Tischtuchs wurde
sanft hochgeweht.
»Du hast das Ufer erreicht.«
Viri antwortete nicht. Der mächtige, sanfte Sommerwind bewegte das Laubdach, strich durch die Blätter, ließ sie im Licht schimmern.
»Du lebst intensiver als andere Männer, Viri. Ich meine, ich könnte dir Beispiele nennen, aber man sieht es doch. Das hier ist eine Art Paradies.«
»Ja, na ja, aber das bin ich nicht allein«, sagte Viri.
»Aber zum großen Teil.«
»Nein, du hast die Zigarren mitgebracht.« Er schwieg einen
Moment. »Die Wahrheit ist, der Schein trügt ein wenig. Ich
bin zu gutmütig.«
»Was meinst du damit?«
»Frauen sollten in Käfigen gehalten werden. Sonst...« Er sprach nicht weiter. Schließlich sagte er: »Sonst - ich weiß auch nicht.«
10
Ihre Freunde in dem Jahr waren Marina und Gerald Troy. Sie war Schauspielerin - sie hatte Strindberg gespielt -, ihre Augen waren von einem durchdringenden Blau. Sie war reich. Es war kein neues Geld, sie war damit aufgewachsen, es leuchtete in allem: ihrer Haut, ihrem feinen Lächeln. Sie ging dreimal die Woche in ein Tanzstudio, zu einem alten Griechen namens Leon; noch mit achtzig waren seine Arme kräftig, er hatte ganz weißes Haar. Nedra fing ebenfalls bei ihm an. Sie hatte für Sport nie etwas übrig gehabt, aber seit den ersten Stunden in der Leere des großen Zimmers mit seinen schmutzigen Fenstern über dem Straßenverkehr, dem hingebungsvollen alten Mann, der Gemeinschaft, fühlte sie sich dort zu Hause. Die Duschen waren sauber; die Kargheit, die grünen Wände gefielen ihr. Ihr Körper erwachte, sie war sich plötzlich bewußt, daß sich in ihm, als existierten sie von selbst, tiefe Gefühle von Stärke verbargen. Wenn er sich dehnte, kopfüber herunterhing, wenn die Muskeln aufgewärmt und entspannt waren, wenn sie sich wie ein junger Läufer fühlte, wurde ihr klar, wie sehr sie diesen Körper lieben konnte, dieses Gefäß, das sie eines Tages im Stich lassen würde - nein, das konnte sie nicht glauben; eher das Gegenteile Es gab Momente, da spürte sie seine Unsterblichkeit: an kühlen Morgen, in Sommernächten, wenn sie allein, nackt auf den Bettüchern lag, in Bädern, während sie sich anzog, vor der Liebe, im Meer oder wenn sie mit schweren Gliedern kurz davor war einzuschlafen. Mittags aß sie mit Eve oder Marina, manchmal mit beiden. Mittage, wenn die Restaurants sich mit Gästen füllten, lauten Stimmen, einem perfekten, ruhigen Licht. In ihrer Handtasche war ein gerade angekommener Brief aus Europa, auf den sie nur einen kurzen Blick geworfen und ihn hastig überflogen hatte, der Anblick des Umschlags genügte, die blauroten Ränder, die fiebrige Schrift. Aus dem Wenigen, was sie gelesen hatte, ging hervor, daß Robert krank war. Verblendet und jammernd, den Heiligen spielend, lag er in einer Klinik in der Nähe von Reims. Es war die Schilddrüse. Ich höre die Leute schon in zwei Jahren: Ihr Stück ist wirklich ganz außergewöhnlich. Und meine Antwort: Ich habe zehn Jahre gebraucht, mein Handwerk zu vervollkommnen. Ich kämpfe hier gegen Windmühlen. Jeden Morgen wache ich schweißgebadet auf, bereit für den Kampf. Der Druck ist riesengroß, aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Was ich vermisse, sind die Proben. Ich war gern dabei, würde gerne sehen, welche Fortschritte die Schauspieler machen. Das ist eine absolute Notwendigkeit. Mein Auge und Ohr kritisieren jede Bewegung, jede Betonung. Ich höre auf die »Kommata« des Stücks, als wären sie Tropfen, die von einem Brunnen fallen. Dis-moi comment vont toutes tes affaires, Ich bin allein.
Der Raum war fast leer. Es war jene stille Stunde in der Mitte des Tages, träge, zerfließend, zwischen zwei und drei Uhr, der unsichtbare Zigarettenrauch vermischt mit der Luft, Zitronenschalen neben den leeren Tassen, der Verkehr auf der Avenue still vorbeigleitend,
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